‏ John 6

1Hierauf begab sich Jesus auf die andere Seite des Sees von Galiläa oder von Tiberias.
Die nach dem Kaiser Tiberius benannte Stadt Tiberias, wonach der See auch genannt wurde, war der Wohnsitz des Vierfürsten Herodes Antipas.
2Eine große Volksmenge begleitete ihn dorthin, weil sie die Zeichen sahen, die er an den Kranken tat. 3Jesus ging dann auf die Berghöhe und blieb dort mit seinen Jüngern. 4Das jüdische Passahfest
Des Jahres 28 oder 29 n.Chr.
aber stand nahe bevor.
Sollte diese scheinbar nebensächliche Bemerkung die ersten Leser des vierten Evangeliums vielleicht an jenes christliche Passahfest erinnern, das damals schon alljährlich stattfand zum Gedächtnis an den Opfertod des wahren Passahlammes 1Kor 5:7 und unsere Erlösung aus der Knechtschaft des geistlichen Ägypten (Jud. 5), und dessen Höhepunkt die Feier des Abendmahls am Abend des 14. Nisan bildete? Dann gehen wir auch nicht fehl, wenn wir annehmen, daß sich die folgende Rede Jesu im dritten Kapitel auf die Taufe bezieht.
5Als nun Jesus seine Augen aufhob und eine große Volksmenge
V2.
zu sich kommen sah, sprach er zu Philippus: "Woher sollen wir Brot kaufen, damit diese alle zu essen haben?"
6- So fragte er aber nur, um ihn zu prüfen;
Ob er auf Jesu Hilfe vertraue.
denn er selbst wußte schon, was er tun wollte. —
7Philippus antwortete ihm: "Für zweihundert Silberlinge
Wörtlich: 200 Denare, etwa 140 Goldmark.
Brot wäre nicht genug für sie; da würde jeder nur ein kleines Stück bekommen."
8Einer seiner Jünger, Andreas, der Bruder des Simon Petrus, sprach zu ihm: 9"Hier ist ein Knabe, der hat fünf Gerstenbrote
Gerstenbrote wurden besonders von der ärmeren Bevölkerung gegessen.
und zwei Fische. Doch was ist das für so viele?"
10Jesus aber gebot: "Laßt die Leute sich auf den Boden lagern!" Es war dort nämlich reicher Graswuchs. Da lagerten sich an Männern ungefähr fünftausend. 11Nun nahm Jesus die Brote, sprach das Dankgebet und ließ sie
Durch die Jünger.
den Gelagerten austeilen. Ebenso verfuhr er mit den Fischen; und jeder nahm davon, soviel er wollte.
12Als sie gesättigt waren, sprach er zu seinen Jüngern: "Sammelt die übriggebliebenen Brocken, damit nichts umkomme!" 13Das taten sie und füllten von den fünf Gerstenbroten zwölf große Körbe mit Brocken, die beim Essen übriggeblieben waren. 14Als die Leute erfuhren, welches Zeichen er getan hatte, da sprachen sie: "Dies ist wahrhaftig der Prophet, der
Nach der Verheißung in 5Mo 18:15.
in die Welt kommen soll!"
15Da aber Jesus merkte, daß sie kommen und ihn mit Gewalt wegführen wollten,
Nach Jerusalem.
um ihn zum König zu machen, zog er sich ganz allein aufs neue ins Gebirge zurück.
16Am späten Abend gingen seine Jünger an den See hinab.
Die Speisung hatte also auf der Berghöhe stattgefunden.
17Sie stiegen in ein Boot und machten sich auf die Fahrt nach Kapernaum, das am anderen Ufer des Sees lag. Es war schon dunkel geworden, und Jesus war noch immer nicht zu ihnen zurückgekehrt. 18Der See aber wurde durch einen starken Wind heftig aufgeregt. 19Als sie nun etwa zweieinhalb bis drei Seemeilen
Wörtlich: "etwa 25 bis 30 Stadien." Ein Stadion = 185 m. Eine Seemeile = 1,852 km.
gefahren waren, sahen sie, wie Jesus auf dem See wandelte und sich ihrem Boot näherte. Da erschraken sie.
20Er aber rief ihnen zu: "Ich bin's, fürchtet euch nicht!" 21Nun wollten sie ihn in das Boot aufnehmen. Da war das Boot mit einemmal am Land und zwar an der Stelle, wohin sie fahren wollten. 22Tags darauf erfuhren die Leute, die am jenseitigen Ufer des Sees geblieben waren, es sei nur ein einziges Fahrzeug dagewesen, Jesus aber habe es nicht zugleich mit seinen Jüngern bestiegen, sondern seine Jünger seien allein abgefahren. 23Andere Boote kamen unterdes aus Tiberias;
Aber nicht aus Kapernaum.
die landeten nahe bei der Stätte, wo die Leute nach dem Dankgebet des Herrn das Brot gegessen hatten.
24Da nun die Menge sah, daß weder Jesus noch seine Jünger dort waren, bestiegen sie auch die Boote und fuhren nach Kapernaum, um Jesus dort zu suchen. 25Als sie ihn hier auf der anderen Seite des Sees fanden, fragten sie ihn: "Meister, wann bist du hier angekommen?" 26Jesus antwortete ihnen: "Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr sucht mich nicht deshalb auf, weil ihr Wunderzeichen gesehen,
Die Wunderzeichen hätte sie zu der rechten Würdigung seiner Person und seines Wirkens führen sollen.
sondern weil ihr von den Broten gegessen habt und satt geworden seid.
In ihren fleischlichen Messiashoffnungen dachten sie nur an die Befriedigung ihrer irdischen Bedürfnisse.
27Müht euch nicht um vergängliche Speise, sondern um die Speise, die bis ins ewige Leben vorhält und die der Menschensohn euch geben wird! Denn ihn hat Gott der Vater dazu beglaubigt." 28Da fragten sie ihn: "Was müssen wir denn tun, um die von Gott gewollten Werke zu verrichten?" 29Jesus antwortete ihnen: "Dies ist das von Gott gewollte Werk, daß ihr glauben sollt an den, den er gesandt hat." 30Da fragten sie ihn: "Was für ein Zeichen tust du denn, damit wir's sehen und an dich gläubig werden? Wie weist du dich aus? 31Unsere Väter haben in der Wüste das Manna gegessen, wie geschrieben steht: Er gab ihnen Himmelsbrot zu essen."
Ps 78:24. — Sie verlangen, Jesus solle sich durch ein ähnliches Wunder ausweisen wie Mose. Die Rabbiner lehrten auch, der Messias werde Israel in die Wüste führen und nach 45 Tagen wie einst Mose Manna vom Himmel regnen lassen.
32Jesus erwiderte ihnen: "Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Nicht Mose hat euch das Himmelsbrot gegeben, sondern mein Vater gibt euch das wahre Himmelsbrot. 33Denn Gottes Brot kommt vom Himmel herab und gibt der Welt das Leben." 34Da sprachen sie zu ihm: "Herr, gib uns stets solches Brot!" 35Jesus entgegnete ihnen:
In der nun folgenden Rede Jesu (V35-58), für die die wunderbare Speisung der Fünftausend das Verständnis vorbereitet hatte, lassen sich deutlich zwei Teile unterscheiden. Der Grundgedanke ist: "Ich bin das Brot des Lebens." Nun redet Jesus zunächst von dem Lebensbrot bildlich: er selbst ist das Lebensbrot für alle, die ihn, den Gesandten des Vaters, im Glauben aufnehmen. Dann aber leitet die Rede mit V51b zu dem zweiten Hauptteil über: da redet Jesus von dem Lebensbrot als einer wirklichen, wenn auch geistlichen Speise, die er gibt; hier findet sich also ein Hinweis auf das Abendmahl.
"Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nie hungern, und wer an mich glaubt, den wird niemals dürsten.
36Aber ich habe euch schon gesagt: Obwohl ihr mich gesehen habt, glaubt ihr doch nicht. 37Alles, was mir der Vater gibt, das wird zu mir kommen; und wer zu mir kommt, den will ich nicht hinausstoßen. 38Denn ich bin vom Himmel herabgekommen, nicht um zu tun, was mir beliebt, sondern um den Willen dessen auszuführen, der mich gesandt hat. 39Das aber ist der Wille des, der mich gesandt, daß ich nichts verlorengehen lasse von allem, was er mir gegeben hat, sondern es am Jüngsten Tag auferwecke. 40Denn dies ist meines Vaters Wille, daß jeder, der auf den Sohn schaut und an ihn glaubt, das ewige Leben habe und ich ihn am Jüngsten Tag auferwecke." 41Da murrten die Juden über ihn, weil er gesagt hatte: "Ich bin das Brot, das vom Himmel herabgekommen ist." 42Sie sprachen: "Ist dieser Mann nicht Josefs Sohn, dessen Vater und Mutter wir kennen? Wie kann er denn jetzt sagen: 'Ich bin vom Himmel herabgekommen'?" 43Jesus antwortete ihnen: "Murrt nicht untereinander! 44Niemand kann zu mir kommen, wenn ihn nicht zieht der Vater, der mich gesandt hat, und ich will ihn dann am Jüngsten Tag auferwecken. 45In den Schriften der Propheten findet sich die Stelle: Sie werden alle von Gott unterwiesen sein.
Frei nach Jes 54:13; vgl. auch Jer 31:33.
Wer auf des Vaters Worte hört und von ihm lernt, der kommt zu mir.
46Damit will ich nicht sagen, daß jemand den Vater gesehen hätte. Nur der eine, der von Gott gekommen ist, nur der hat den Vater gesehen. 47Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer glaubt, der hat ewiges Leben. 48Ich bin das Brot des Lebens. 49Eure Väter haben einst in der Wüste das Manna gegessen und sind trotzdem gestorben. 50Hier ist das Brot, das vom Himmel herabkommt, damit man davon esse und nicht sterbe. 51Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brot ißt,
Wer mich im Glauben aufnimmt.
wird ewig leben. Das Brot aber, das ich geben werde, ist mein Fleisch:
Mein leibliches Leben, das ich in den Tod geben werde.
dies Brot gereicht der Welt zum Leben."
Ein Hinweis auf Jesu Versöhnungstod.
52Da gerieten die Juden in Aufregung. "Wie", so fragten sie, "kann uns dieser Mann sein Fleisch zu essen geben?" 53Jesus antwortete: "Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Eßt ihr nicht das Fleisch des Menschensohnes und trinkt ihr nicht sein Blut, so habt ihr kein Leben in euch.
Nur wer sich das durch Christi Tod gewirkte Heil im Glauben aneignet, nur der hat geistliches, ewiges Leben. Im Abendmahl findet diese Aneignung in besonderer Weise statt; denn da wird Jesu geopferter Leib gegessen und sein vergossenes Blut getrunken.
54Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt, der hat ewiges Leben, und den werde ich am Jüngsten Tag auferwecken. 55Denn mein Fleisch ist wirklich Speise, und mein Blut ist wirklich Trank. 56Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt, der bleibt in mir, und ich bleibe in ihm. 57Wie mich der lebendige Vater gesandt hat und ich lebe, weil der Vater lebt, ebenso wird auch der, der mich ißt, leben, weil ich lebe. 58So ist das Brot beschaffen, das vom Himmel herabgekommen ist. Dies Brot ist anders als das Manna, das eure Väter gegessen haben: sie sind trotzdem gestorben. Wer aber dies mein Brot ißt, der wird ewig leben." 59Diese Worte sprach er, als er in dem Versammlungshaus zu Kapernaum lehrte. 60Viele nun von seinen Jüngern, die dies hörten, sagten: "Das ist eine unerträgliche Rede; wer kann die mit anhören?" 61Jesus merkte, daß seine Jünger mit seinen Worten unzufrieden waren,
Er, der Herzenskündiger, hatte davon Kenntnis, ohne daß sich die Jünger darüber laut und deutlich geäußert hätten.
und er fragte sie: "Daran nehmt ihr Anstoß?
Dies scheint euch unmöglich?
62Was werdet ihr dann erst sagen, wenn ihr mit euern Augen seht, wie der Menschensohn dorthin emporsteigt, wo er einst gewesen ist? 63Der Geist ist's, der lebendig macht.
Durch die Himmelfahrt (V62) ist Jesus als der letzte Adam ein lebendigmachender Geist geworden. 1Kor 15:45
Das Fleisch hat keinen Wert.
Jesu Jünger legten allen Wert auf Jesu Fleisch, d.h. sein leibliches Leben, und meinten, nur in seinem irdischen Dasein könne er ihre messianischen Hoffnungen erfüllen. Darum war es ihnen anstößig, von Jesu Tod und dem Genuß seines geopferten Fleisches zu hören.
Die Worte, die ich zu euch geredet habe, sind Geist und Leben.
64Aber es gibt einige unter euch, die glauben nicht." — Denn Jesus wußte von Anfang an, wer nicht zum Glauben kommen und auch, wer ihn verraten würde. — 65Dann fuhr er fort: "Aus diesem Grund
Weil einige unter euch nicht glauben (V64).
habe ich euch gesagt: Niemand kann zu mir kommen, wenn ihm der Vater nicht die Fähigkeit dazu verleiht."
Vgl. 37 und 44.
66Dieser Rede wegen verließen ihn viele seiner Jünger und begleiteten ihn nicht mehr auf seinen Wanderungen.
Hätte Jesus seine Worte von V51b ab nur bildlich gemeint, so hätte er nun Veranlassung gehabt, dies seinen Jüngern, die die Worte buchstäblich auffaßten, deutlich zu sagen. Dann hätten sie sicher keinen Anstoß mehr genommen und wären ihm treu geblieben. Die Tatsache aber, daß Jesus trotz des Abfalls vieler seiner Jünger seine Worte in keiner Weise näher erläutert oder bildlich deutet, legt offenbar Zeugnis dafür ab, daß jede Abschwächung und bildliche Deutung hier ausgeschlossen ist. Ja sogar die Zwölf können gehen, wenn ihnen Jesu Worte unannehmbar sind!
67Da fragte Jesus die Zwölf: "Ihr wollt doch nicht auch weggehen?" 68Simon Petrus antwortete ihm: "Herr, zu wem sollten wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens; 69und wir haben geglaubt und erkannt, daß du der Heilige Gottes bist." 70Jesus erwiderte ihnen: "Habe ich nicht euch, die Zwölf, mir auserkoren? Und doch ist einer von euch ein Teufel!" 71Damit meinte er den Judas, den Simons Sohn aus Kariot. Denn der sollte sein Verräter werden, und er war doch einer von den Zwölf.
Judas scheint irdische Messiashoffnungen gehabt zu haben, ähnlich wie die anderen Jünger und die Juden insgemein. Als sich nun Jesus dem Versuch des Volkes, ihn zum Messiaskönig auszurufen, entzog (V15), ist vielleicht zum erstenmal der Gedanke an den Verrat in ihm aufgetaucht.
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