‏ John 19:11

Wiederum vor Pilatus

Die Unentschlossenheit dieses Machtinhabers hat eine Tragik. Er ist hier in eine Situation verstrickt, die er sich nie gewünscht hat, und durch alle Versuche, sich daraus zu befreien, gerät er nur immer tiefer hinein. Hier helfen ihm keine Politik und auch keine Diplomatie, um eine Auflösung zu erreichen. Hier spielt sich etwas ab, was von höherer Hand gelenkt wird, worin er zu einer Entscheidung gezwungen wird, die er nicht treffen will, aber doch treffen muss.

Wieder geht Pilatus in den Gerichtssaal; diesmal fragt er den Herrn nach seiner Herkunft. Wenn diese Frage aus einer geistlichen Not herausgestellt worden wäre, hätte der Herr bestimmt geantwortet, wie Er es am Anfang dieses Evangeliums auf die ähnliche Frage: „Wo hältst du dich auf?“ (Joh 1:38,) auch getan hat. Jetzt aber gibt Er keine Antwort. Er lässt sich niemals zwingen, sondern lässt sich vollkommen von seinem Vater leiten.

Pilatus ist offensichtlich beleidigt, weil sein Gefangener ihm nicht antwortet. Was ist das für eine Frechheit! Wie soll er nun damit umgehen? Drohend spricht er zum Herrn über seine Macht bzw. Befugnis, Ihn freizulassen oder auch zu kreuzigen. Aber wie einst Nebukadnezar wird auch Pilatus gezwungen, zu erkennen, bei wem wirklich die Macht liegt (Dan 4:29b). Mit dem, was Pilatus über seine Macht sagt, fällt er eigentlich das Urteil über sein eigenes Unvermögen. Formell ist er zwar der Inhaber der Macht, moralisch aber befindet er sich tatsächlich in der Hand der Volksmenge und noch mehr unter der Macht dessen, der als Gefangener vor ihm steht.

Das erfährt er, als der Herr ihm nun erklärt, wie die Machtverhältnisse wirklich liegen. Pilatus muss einsehen, dass der Gefangene den Platz des Richters einnimmt und in völlig ruhigem Ton von einer höheren Gewalt als der des Kaisers redet. Die zeitlich begrenzte Autorität, über die Pilatus verfügt, ist ihm verliehen von dem Menschen, der vor ihm steht. Dieser Mensch legt auch das Maß der Schuld fest, sowohl für Pilatus als auch für die Juden. Dieser Mensch ist nämlich der Sohn, dem der Vater das ganze Gericht übertragen hat (Joh 5:27). Er, der vor Pilatus steht, ist ja selbst „von oben“. Er ist es, der ihm seine Macht gegeben hat, aber Pilatus missbraucht diese Macht.

Pilatus ist ein Heide; und er ist schuldig, das ist überdeutlich. Aber Judas, Kajaphas und die Juden sind noch schuldiger. Pilatus hat von Gott irdische Gewalt bekommen, aber den Juden hat Gott Worte anvertraut, Worte des lebendigen Gottes, die von dem Sohn Zeugnis geben. Der Sohn ist sogar ihr Mittelpunkt und ihr Thema. Dieser hat der Welt Werke und Wege gezeigt und sie Worte hören lassen, die die Welt niemals zuvor gesehen und gehört hat – und ausgerechnet diesen Sohn verwerfen sie!

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