‏ Deuteronomy 1:3

Einleitung

Der Verfasser dieses Buches ist Mose. Das wird durch verschiedene Stellen im Neuen Testament durch Gebrauch von Zitaten aus dem fünften Buch Mose deutlich (Mt 22:24; Apg 3:22). Mose hat das Buch kurz vor seinem Tod geschrieben (5Mo 31:24). Das letzte Kapitel, das von Moses Tod berichtet, ist vermutlich von Josua geschrieben worden.

Das Buch beschreibt die besondere Situation, in der das Volk sich befindet. Einerseits hat es die Wüstenreise hinter sich, andererseits ist es kurz davor, das in Besitz zu nehmen, was Gott den Erzvätern versprochen hatte. Gottes Ziel ist es, das Volk auf die Eroberung und Inbesitznahme des Landes vorzubereiten.

Das Buch hat einen besonderen Charakter. Die Namen der fünf Bücher Mose sind durch Übersetzer des Alten Testaments aus dem Hebräischen ins Griechische entstanden. Diese haben jedem Buch einen griechischen Namen gegeben. „Deuteronomium“ heißt so viel wie „zweites Gesetz“, im Sinn einer Wiederholung. Tatsächlich ist das Buch aber keine Wiederholung. Viele Themen, die in den vorangegangenen Büchern aufgeführt wurden, kehren zwar zurück, aber sie werden im fünften Buch Mose mit einem speziellen Ziel vorgestellt, das die anderen Bücher nicht haben.

Im fünften Buch Mose wird etwas Neues hinzugefügt. Das Volk hat viele Erfahrungen in der Wüste gemacht, es hat erfahren, was in seinem Herzen ist. In den vierzig Jahren, die sie in der Wüste verbracht haben, haben sie nichts gelernt, nichts über sich selbst und nichts über Gott, der sie getragen und versorgt hat. In einigen Ansprachen stellt Mose in diesem Buch jene Erfahrungen vor, sowohl mit sich selbst als auch mit Gott und er stellt dem Volk die Zukunft vor.

Bevor sie den Jordan überqueren, ruft Mose sie mit diesem langen Buch zur Besinnung auf. Er stellt ihnen den Segen, aber auch den Fluch vor. Sie hatten Gottes Gnade erfahren, was würden sie damit tun? Die drängende Frage, die allmählich auf das Volk zukommt, ist diese: Habt ihr vor, Gott zu dienen oder wollt ihr euren eigenen Weg gehen?

Es ist tragisch, dass von Anfang an deutlich wird, dass sie aus der Vergangenheit nichts gelernt haben und auch in Zukunft verderbt handeln werden. Das zeigen 5. Mose 28 und 29 auf. Allerdings gibt es einen Wendepunkt in 5. Mose 29, wo wir über „das Verborgene“ lesen (5Mo 29:28). „Das Offenbarte“, von dem in dem Vers auch die Rede ist, wird in den vorangegangenen Kapiteln angesprochen. In diesen wird der Gehorsam als der sichere Weg zum Segen und Ungehorsam als der sichere Weg ins Verderben vorgestellt. Aber in „dem Verborgenen“ sehen wir, was Gott vorsieht, wenn das Volk es verdorben hat. Wenn Gott sie wegen ihrer Untreue unter die Völker zerstreut hat, wird Er sie zur Buße führen. Obwohl das Volk sich nicht für Ihn interessiert, möchte Gott etwas mit ihnen zu tun haben. Das ist heute noch immer Zukunft.

Im Alten Testament haben wir es mit typologischen Vorbildern zu tun, mit denen Gott bestimmte Wahrheiten aus dem Neuen Testament darstellt. Zu diesem Zweck ist die ganze Geschichte Israels aufgeschrieben (1Kor 10:6; 11). Genesis (1. Mose), die erste Hälfte von Exodus (2. Mose) und Numeri (4. Mose) umfassen viele Ereignisse. Die zweite Hälfte von Exodus und das Buch Levitikus (3. Mose) beinhalten Gebote. Die Gebote geben an, wie das Volk in Verbindung mit Gott sein kann und mit Ihm Gemeinschaft haben kann. Das ist auf dem Fundament des Opfers möglich, das in den Geboten auch das zentrale Thema einnimmt. Auch die Gebote haben in erster Linie Bedeutung für uns, denn Israel hat sich in der Praxis nie an die Gebote gehalten (vgl. Amos 5:25; 26). Im Brief an die Hebräer wird die Bedeutung für uns genannt: Es sind Abbilder der Dinge, die in den Himmeln sind (Heb 9:23).

In diesem Buch sehen wir auch auf den Zustand, in dem wir waren, und was Gott für uns war. Wir lernen, wie die Segnungen, die jetzt schon unser Teil sind, Realität für uns werden können. Der Himmel ist schon in uns. Die Frage, die sich für Israel stellt, stellt sich ebenso für uns: Was ist uns unser Erbteil wert? Der kürzeste Weg von Ägypten ins gelobte Land dauert elf Tagereisen (5Mo 1:2). Aber genau wie Israel brauchen wir viel Zeit, um zu lernen, wer wir selbst sind und wer Gott ist. Wenn wir das einigermaßen gelernt haben durch die manchmal harten und anhaltenden Erfahrungen im Alltag, können wir unser Herz auf das vor uns liegende Land ausrichten, wo der Herr Jesus ist.

Das ganze Buch spielt sich in den Ebenen Moabs am Jordan ab (4Mo 36:13; 5Mo 1:1). Um die Bedeutung des Buches für uns kennenzulernen, müssen wir begreifen, welche geistliche Bedeutung die Ebenen Moabs für uns haben. Wir können in den Briefen von Paulus etwas davon lernen. Im Brief an die Römer erklärt er, wie jemand aus der Welt (Ägypten) erlöst wird. Er schreibt in Kapitel 6 über die Taufe als den Übergang zu einem neuen Leben (Röm 6:4). Wir sehen das bildlich im Durchzug durch das Rote Meer (1Kor 10:1; 2).

Der getaufte Gläubige gehört nicht mehr zur Welt. Die Welt ist für ihn zu einer Wüste geworden, in der er – wie das Volk Israel – Erfahrungen macht, sowohl mit sich selbst als auch mit Gott. In dem Maß, in dem er mehr lebt durch Glauben an den Sohn Gottes und weniger gelebt wird durch die Umstände, nähert er sich vor dem Einzug in das Land sozusagen den Ebenen Moabs. Es gibt geistliches Wachstum, wenn der Heilige Geist die Gelegenheit bekommt, das Herz des Christen immer mehr auf Christus zu richten.

Jemand ist, geistlich gesehen, in den Ebenen Moabs angekommen, wenn sein Herz voll ist von Christus. Das können wir im Brief an die Philipper erkennen. Dort hören wir jemanden sagen, nicht wie ein Dogma, sondern durch eigene Erfahrung: „Alles vermag ich in dem, der mich kräftigt“ (Phil 4:13). Wie kommt es, dass wir jedes Mal durch Hunger und Gefahr durchgeschüttelt werden? Weil wir, geistlich gesprochen, noch nicht in den Ebenen Moabs angelangt sind. Jemand, den die Gefahren und Probleme der Wüste nicht mehr beeindrucken, ist in diesen Ebenen Moabs angekommen. Er sieht auf die Erfahrungen in der Wüste zurück als auf eine Zeit, in der er die Güte des Herrn erleben durfte. Ein persönliches Beispiel ist Paulus im Brief an die Philipper. Er ist dort erfüllt von der himmlischen Berufung (Phil 3:13b; 14).

Das fünfte Buch Mose ist die alttestamentliche Parallele zum Brief an die Philipper. Die Herzen werden im fünften Buch Mose für das Land erwärmt. Im Brief an die Philipper werden die Herzen durch den Heiligen Geist, der durch Paulus spricht, für den Himmel erwärmt. Im fünften Buch Mose übernimmt Mose diese Aufgabe. Hier ist Mose ein Bild des Herrn Jesus als derjenige, der die Wüstenreise erlebt hat. Er kennt alle Umstände, Er ist uns vorangegangen, wir dürfen in seine Fußstapfen treten. Dieser Lehrer ist vollkommen. In Philipper 2 sehen wir Ihn als den wahren Mose, geprüft in der Wüste, in der seine Gesinnung und sein Gehorsam deutlich werden. In Philipper 3 wird unser Auge auf den Herrn Jesus in der Herrlichkeit gerichtet, um Ihn zu erkennen, dem wir alle Segnungen verdanken.

Auch im buchstäblichen Sinn war der Herr in der Wüste. Er brachte dort vierzig Tage zu, während Er vom Teufel versucht wurde (Mt 4:1-10). Jede Versuchung beantwortet Er mit einem Zitat aus diesem Buch (5Mo 8:3 in Mt 4:4; 5Mo 6:16 in Mt 4:7; 5Mo 6:13 in Mt 4:10). Wie wir sehen, stammen die Zitate aus dem ersten Teil des Buches, in dem ein Rückblick auf die Wüstenreise gegeben wird.

Wenn wir dieses Buch lesen und auf uns wirken lassen, werden wir in jedem Teil der Geschichte Israels uns selbst erkennen. Jedes Mal wird eine andere Perspektive gewählt. Das Volk ist ein völlig neues Volk, denn das alte Geschlecht – bestehend aus allen, die zwanzig Jahre und älter waren – ist in der Wüste umgekommen, mit Ausnahme von Josua und Kaleb. An sie richtet Mose seine Reden in diesem Buch. Diese neue Generation hat es nötig, von der Geschichte des Volkes zu hören und zu wissen, was passiert ist, damit sie etwas daraus lernen können.

Das Buch bietet uns praktische und geistliche Lektionen, die sich mit dem Thema des Erbteils beschäftigen. Wir sehen ein Volk, das auf das vor ihm liegende Erbteil vorbereitet wird und kurz davor ist, es in Besitz zu nehmen. Es ist das Land, auf das Gott mit Freude schaut. Mose weiß, wovon er spricht, als er ihre Herzen für das Land erwärmen will. Er gibt in den ersten Kapiteln einen historischen Rückblick auf die Weise, in der das Volk schon mit dem verheißenen Land zu tun hatte. Sie haben “das kostbare Land“ (Ps 106:24) verschmäht. Dann kommt eine neue Generation und ein Überrest, vorgestellt in Kaleb, die das Land in Besitz nehmen dürfen.

Für uns Christen ist das Land Kanaan ein Bild von den himmlischen Örtern. Darin sind wir „gesegnet … mit jeder geistlichen Segnung … in Christus“ (Eph 1:3). Der Herr Jesus, unser wahrer Mose, will unsere Herzen darauf richten. Wenn eine echte Gemeinschaft mit Gott vorhanden ist, wird sich das zeigen in dem Interesse, das wir für die Dinge zeigen, die Gott wichtig sind. Gottes Herz ist voll von Christus und von allem, was dieser getan hat.

Das fünfte Buch Mose ist wie folgt einzuteilen:

1. Erste große Rede Moses – Rückblick auf die Wüstenreise (5. Mose 1,1–4,43).

2. Zweite große Rede Moses (5. Mose 4,44–26,19),

die in drei Teile unterteilt werden kann:

a. Die Geschehnisse am Horeb (5. Mose 4,44–5,33).

b. Gebote und Satzungen, Gehorsam als Bedingung für das Genießen des Segens des Landes (5. Mose 6,1–11,32).

c. Satzungen für das Leben im Land, rund um den Ort, den der HERR ausgesucht hat, um seinen Namen dort wohnen zu lassen (5. Mose 12,1–26,19).

3. Dritte und vierte Rede Moses, sein Lied und der Bericht von seinem Tod (5. Mose 27,1–34,12),

unterteilt in folgende Abschnitte:

a. Dritte Rede – Segen und Fluch (5. Mose 27,1–28,68).

b. Vierte Rede, Erneuerung des Bundes, Buße und Erlösung, das Volk wird vor eine Entscheidung gestellt (5. Mose 28,69–30,20).

c. Mose bestimmt Josua als seinen Nachfolger (5. Mose 31,1–8).

d. Alle sieben Jahre muss das Gesetz dem ganzen Volk vorgelesen werden (5. Mose 31,9–13).

e. Moses Lied und sein Segen (5. Mose 32,1–33,29).

f. Moses Tod (5. Mose 34,1–12).

Ort und Zeitpunkt von Moses Rede

Mose spricht ohne Ausnahme „zu ganz Israel“. Ort und Zeitpunkt der Rede werden angegeben. Er hält seine Rede am Ufer des Jordan, des Flusses, der das Volk noch vom Land trennt. Die Umgebung, die Wüste, erinnert an die Reise. Das Volk befindet sich „in der Ebene“, ein Ort, an dem sich keiner verstecken kann und die Umgebung gut wahrzunehmen ist.

Das Buch enthält die Worte, die Mose geredet hat (5Mo 1:1), ganz so, wie der HERR es wollte (5Mo 1:3), Worte, die er auslegte oder erklärte (5Mo 1:5). Das ganze Buch ist ein direktes und richtungsweisendes Reden Gottes. Er ist die Quelle. Es ist gut für uns, dies während des Lesens und Nachdenkens über das Buch stets zu bedenken. Mose ist der Mittler – und ein Bild des Herrn Jesus, der Gottes Wort mit Vollmacht spricht –, durch den Gottes Worte zu uns kommen. Er setzt alles daran, um dem Volk das Wort Gottes deutlich zu machen und es richtig verstehen zu lassen.

Die Reise hätte elf Tage dauern können. Diese Zeit war nötig für die Reise vom Horeb – das ist der Berg Sinai – nach Kades-Barnea, dem südlichen Eingang des Landes. Aufgrund seines Unglaubens brauchte das Volk allerdings vierzig Jahre vom Zeitpunkt des Auszugs bis zum Einzug in das Land (für „vierzig Jahre“ siehe 4Mo 14:29-35; 4Mo 32:13; 5Mo 8:2-5; 5Mo 29:4; 5; Heb 3:7-19). Die Zahl Vierzig spricht von Erprobung. Sie spricht von einer Zeit, in der das Herz und die Qualitäten einer Person auf die Probe gestellt werden. Für uns geht es nicht wörtlich um vierzig Jahre, genauso wenig wie es um eine wörtliche Wüste geht. Die geistliche Lektion ist, dass wir aufgrund eigener Verfehlungen und Untreue oft auch länger brauchen, Segnungen in Besitz zu nehmen, als wenn wir treu geblieben wären.

Die Zeitangabe in 5Mo 1:3 zeigt, dass das Ende des vierzigsten Jahres in Sicht ist. Das heißt, dass in den Ebenen Moabs ein ganz anderes Volk lagert als das, was aus Ägypten ausgezogen ist. Jetzt ist es Zeit für einen Rückblick.

Hesbon war die Hauptstadt Moabs, aber sie war erobert worden durch Sihon, einen König der Amoriter. Og war auch ein König der Amoriter, der über den nördlichen Teil des Ostjordanischen herrschte, Sihon herrschte hingegen im südlichen Teil. Die Niederlage Sihons und Ogs wird in 5. Mose 2,24–3,11 beschrieben.

Der Hinweis auf die Niederlage dieser beiden Könige enthält eine geistliche Voraussetzung für das Verstehen dessen, was Mose sagen wird. Die geistlichen Segnungen des himmlischen Landes werden von uns nicht erkannt, wenn wir die irdischen Segnungen nicht auf die richtige Weise in Besitz genommen haben. (Siehe die Erklärung zu 4. Mose 21,21–35 in der Betrachtung zum vierten Buch Mose.)

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