Isaiah 6:5-8

Sündhaftigkeit und Vergebung

Während die Materie in Bewegung gerät, wenn die Herrlichkeit Gottes offenbart wird, bleiben die Herzen des Volkes hart und unbeweglich. Doch nicht das Herz Jesajas. Die Vision veranlasst ihn, vor dem HERRN niederzufallen. Der HERR ist „ein verzehrendes Feuer“ (Jes 33:14; Heb 12:29). In diesem überwältigenden Licht sieht er sich selbst als ebenso verdammungswürdig an, wie das Volk es ist.

Er beginnt zu erkennen, dass sein Schicksal nicht von einem irdischen König abhängt (Jes 6:1), sondern von dem HERRN, dem himmlischen König, dem dreimal heiligen Gott. Deshalb spricht er nach den sechs „Wehe“ über das Volk im vorigen Kapitel nun zum siebten Mal ein „Wehe“ aus, und zwar über sich selbst (Jes 6:5).

Es ist das „Wehe mir“ eines Gläubigen, der gelernt hat, sich in Gottes Gegenwart zu sehen. Es geht nicht um bestimmte Sünden, wie bei dem Volk, sondern um seine Sündhaftigkeit. Das ist ein tieferes Werk. Auch Petrus kommt in der Gegenwart des Herrn zur Überzeugung von seiner Sündhaftigkeit (Lk 5:8). Wir sehen es auch bei Abraham, der dasselbe in der Gegenwart Gottes empfindet, als er für Sodom um Lots willen Fürsprache einlegt (1Mo 18:27; vgl. Hiob 42:6). Dasselbe sehen wir bei Hesekiel, als er berufen wird (Hes 1:28), bei Johannes auf Patmos (Off 1:17) und bei Saulus auf dem Weg nach Damaskus (Apg 9:3; 4), als sie dem Herrn Jesus in seiner Herrlichkeit von Angesicht zu Angesicht begegnen.

Bei jedem von ihnen ist der weitere Dienst durch diese Erscheinung und Begegnung geprägt. Wir bekommen diese Visionen nicht, sondern haben sie im Wort. Durch das Lesen des Wortes werden wir die gleiche Erfahrung haben. Wir werden die Herrlichkeit des Herrn mit den Augen unseres Herzens erblicken und in dieses Bild verwandelt werden, so wie sie dadurch verändert wurden. Wir werden durch das Lesen das Wort Gottes genauso überwältigt sein wie Jesaja und die anderen.

Mit dem Ausruf „wehe mir“ macht sich Jesaja eins mit dem sündigen Volk. Er fühlt sich unrein in der Gegenwart des HERRN. Er weiß sich geistlich in demselben unreinen Zustand des Aussatzes, in dem der in Jes 6:1 erwähnte König Ussija durch seinen Hochmut endete (2Chr 26:19-21; 3Mo 13:45). Indem Jesaja das Gericht über sich selbst anerkennt, entgeht er dem Gericht, das Gott über das ganze Volk bringen muss. Selbstverurteilung ist immer der Weg, um persönlich dem Gericht zu entgehen, mit dem Gott das Ganze treffen muss. Denn Gott ist immer bereit, Rettung zu gewähren. Jesaja hat nun Anteil an der Gewissheit der Versöhnung. Darin ist er ein Typus des gläubigen Überrestes in der Zukunft.

So sollte es auch bei uns immer sein. Je mehr wir die Merkmale des Sühnewerks Christi und die Herrlichkeiten seiner Person verstehen, desto mehr werden wir uns unserer Sündhaftigkeit bewusst werden. Je näher wir dem Herrn sind, desto größer wird unser Bewusstsein für unsere Unwürdigkeit sein. Wir werden dann auch lernen, uns mit dem Zustand zu identifizieren, in den unsere Mitgeschwister geraten sind, wenn sie durch Untreue einen sündigen Weg gehen. Wir werden lernen, ihre Sünden wie unsere eigenen zu bekennen. Esra und Daniel haben das gelernt und getan (Esra 9:1-15; Dan 9:3-23; vgl. Neh 9:16-37). Nur so können wir, wie Jesaja hier, vom Herrn berufen und zum Segen für andere gebraucht werden .

Für ein zerschlagenes Herz gibt es sofortige Gnade (vgl. Jes 57:15). Ein Seraphim bringt Jesaja in Kontakt mit dem, was auf dem Altar liegt (Jes 6:6). Aufgrund dessen, was der Altar darstellt – Christus, der sich Gott darbringt, was Gott die Möglichkeit gibt, Versöhnung anzubieten (2Kor 5:20; 21) – wird Jesaja die Vergebung seiner Sünden zugesichert (Jes 6:7). Durch das Berühren seiner Lippen mit einer Kohle vom Räucheraltar wird er für seinen Dienst qualifiziert. Er kann nun hinausgehen, umgeben vom Duft des Räucheralters (vgl. 2Kor 2:14-16).

In diesem Abschnitt finden wir sowohl einen Thron als auch einen (Räucher-)Altar. Das verweist auf die Herrlichkeit des Herrn Jesus als König und Priester. In Israel ist das Königtum vom Priestertum getrennt. Als König Ussija sich anmaßt, eine priesterliche Aufgabe zu erfüllen, wird er aussätzig (2Chr 26:19). Nur der Herr Jesus kann, wie Melchisedek, sowohl König als auch Priester sein.

Berufung und Auftrag

Jesaja ist nun für Gott brauchbar, um seine ernste Botschaft zu überbringen. Er hört „die Stimme des Herrn“ (Adonai, Jes 6:1) mit der Frage, wen Er senden wird (Jes 6:8). Der „Herr“, der hier zum ersten Mal spricht, ist Gott, der Heilige Geist (Apg 28:25b-27). Zugleich ist es aber auch der Herr Jesus, wie wir aus dem bereits zitierten Text aus Johannes 12 wissen (Joh 12:41). Das erklärt, warum in der ersten Frage „ich“, Singular, und in der zweiten Frage „uns“, Plural, steht. Der Plural „uns“ (vgl. 1Mo 1:26) geht davon aus, dass hier der dreieinige Gott – Vater, Sohn und Heiliger Geist – spricht.

Die Frage ist nicht allgemein gestellt, sie ist auch nicht an mehrere Personen gerichtet, sondern vielmehr persönlich an das Herz Jesajas. Es ist klar, dass die Frage nicht an die Engel im Himmel gestellt wird. Wäre das so, hätte sich sofort die ganze himmlische Heerschar gemeldet und ausgerufen: „Sende mich, sende mich!“ Doch die Engel schweigen. Niemand außer Jesaja ist dazu berufen und auserwählt, diese Frage zu beantworten. Er ist das Gefäß, das gereinigt und damit dem Meister nützlich ist (2Tim 2:21).

Jesaja antwortet deshalb auch direkt. Er hat keine Fragen oder Einwände und sagt: „Hier bin ich, sende mich.“ Keiner von „seinen Engeln, … Täter seines Wortes, gehorsam der Stimme seines Wortes“ (Ps 103:20) kann für einen solchen Dienst zu sündigen Menschen gesandt werden. Nur ein Mensch, dessen Lippen zunächst unrein waren, aber nun gereinigt sind, kann zu einem Volk mit unreinen Lippen gesandt werden. Mit dem gleichen Ziel sind auch wir noch auf der Erde.

Es gibt nichts, was die Gemeinschaft zwischen Jesaja und dem Herrn verhindert. Wenn alles, was unserer Gemeinschaft mit dem Herrn Jesus im Wege steht, beseitigt ist, können wir jede Aufgabe, die Er uns aufträgt, in seiner Kraft erfüllen. Dann wird nichts, was Er von uns verlangt, zu schwer für uns sein. Hier sehen wir die Reihenfolge:

1. zuerst die Überzeugung der eigenen Unwürdigkeit in Gottes Gegenwart, dann

2. die Reinigung und dann

3. die Aussendung in den Dienst Gottes.

Der Auftrag, den Jesaja erhält, ist in der Ausführung sehr schwer (Jes 6:9). Er muss zu „diesem Volk“ gehen und ihnen das Gericht der Verhärtung ankündigen. Indem der HERR das Volk „dieses Volk“ nennt – und nicht von „meinem Volk“ spricht – geht Er auf Distanz (Jes 6:9; 10; vgl. 2Mo 32:9; 21; 31; 4Mo 11:11-14).

Die Botschaft der Verhärtung, die Jesaja bringen soll (Jes 6:10), wird später auch durch den Herrn Jesus zu dem Volk gebracht (Mt 13:10-15). Damit wird zugleich deutlich, warum dieses Gericht hinsichtlich ihrer Verhärtung tief in die Masse des Volkes eindringen wird: Nämlich weil sie den Herrn Jesus ablehnen. Diese Ablehnung zeigt sich überaus deutlich darin, dass das Wirken des Geistes in Christus dem „Beelzebul als dem Herrscher der Dämonen“, also dem Satan selbst, zugeschrieben wird (Mt 12:22-32).

Noch später wird dieser Vers von Jesaja deutlich machen, dass das Volk das Zeugnis des Heiligen Geistes durch den Mund des Apostel Paulus ablehnt (Apg 28:25-27). Damit werden sie das Gericht der Verhärtung besiegeln.

Sie haben so sehr in ihrer Sünde der Ablehnung des HERRN verharrt und sind so verhärtet in ihrer Weigerung, zu Ihm zurückzukehren, dass die Möglichkeit der Bekehrung und Heilung nun vorbei ist. Sie werden die Predigt hören, aber sie werden ihre geistliche Bedeutung nicht verstehen. Sie werden denken, dass sie sehen, sie werden sich sogar rühmen, dass sie sehend seien, aber ihre Ablehnung des Herrn Jesus wird der Beweis dafür sein, dass sie in Wahrheit blind sind und dass ihre Sünde bleibt (Joh 9:39-41).

Wer unter das Gericht der Verhärtung fällt, ist von diesem Moment an nicht mehr zugänglich für das Wort Gottes. Das Herz ist wie aus Stein geworden. Es ist tatsächlich so, dass jemand nicht mehr zu Gott kommen kann, wenn Gott ihn nicht mehr zieht (Joh 6:44). Dann hat Gott ihn sich selbst und seinen Begierden überlassen, weil er es selbst so gewollt hat (Röm 1:24; 26; 28). Das ist das Gericht über Israel damals und heute.

Dieses Gericht der Verhärtung ist nicht über ganz Israel gekommen, sondern über einen Teil davon (Röm 11:25). Dieser Teil aber ist die ungläubige Mehrheit des jüdischen Volkes. Seit dieser Zeit ist die Evangelisation unter orthodoxen Juden fast ergebnislos. Es gibt zwar immer wieder Juden, die zur Buße kommen, denn es gibt immer einen Überrest, auch in dieser Zeit (Röm 11:5), doch handelt es sich dabei um Ausnahmen. Die Masse des Volkes ist verhärtet.

Zu Beginn des Zionismus, im neunzehnten Jahrhundert, schien es eine nationale Wiederbelebung unter den Israeliten zu geben. Viele von ihnen kehrten in das Land zurück und einige kamen auch durch Glauben zur Umkehr. Anhand der eigenen Schriften wurde und wird erklärt, dass der Messias bereits gekommen sei. Doch die große Mehrheit derer, die in Israel wohnen, mögen den Messias Jesus überhaupt nicht, verlassen sich auf ihre eigene Kraft und folgen ihren eigenen Einsichten, um die Probleme zu bewältigen.

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