Joel 2:12-14

Ein Aufruf

Durch die Worte „aber auch jetzt [noch], spricht der HERR“ leuchtet die Hoffnung auf, dass das angekündigte Gericht noch abgewendet werden kann. „Kehrt um zu mir“ weist darauf hin, dass es sich um eine Umkehr handelt, die zu einer neuen Verbundenheit mit dem HERRN führt. Es geht nicht nur um eine Hinwendung, sondern um ein wirkliches Zugehen auf den HERRN. Deshalb „mit eurem ganzen Herzen“, d. h. mit allem, worauf das Leben gerichtet ist, mit dem ganzen Denken und Wollen (vgl. 1Sam 7:3; 1Kön 8:48).

Der HERR richtet einen ernsten Appell an das Volk, sich zu Ihm zu bekehren, und zwar radikal, ohne jede Zurückhaltung. Das Erste, was zählt, ist das Herz, das ganze Herz. Halbherzigkeit ist ein Gräuel für Gott. Eine echte Bekehrung geht nicht ohne erkennbare Äußerungen. „Fasten“, „Weinen“ und „Klagen“ werden bei jemanden, der sich von ganzem Herzen Gott zuwendet, sichtbar und hörbar werden.

Joel sagt nicht, welche konkrete(n) Sünde(n) das Volk bereuen muss. Wir hören zum Beispiel nichts von Götzendienst, sozialer Ungerechtigkeit, von dem Vertrauen auf die eigene militärische Macht oder von Bündnissen mit Nachbarländern. Es kann eine Bekehrung sein von einer oberflächlichen, selbstsicheren, ritualisierten Religion zu einem neuen intensiven Hören auf das Wort Gottes als auch zu einem Leben nach dem Wort Gottes.

Wenn das ganze Leben in die Gegenwart Gottes gestellt wird, in dem Wissen, dass Er alles weiß und beurteilt, hat das Konsequenzen. Auf der einen Seite wird es uns wegen der Heiligkeit Gottes niederbeugen, weil wir sehen, wie sündhaft unser Leben ist. Auf der anderen Seite wird es uns vor Erleichterung aufstehen lassen wegen der Liebe Gottes, weil wir sehen, dass Er auf Reue mit Vergebung unserer Sünden antwortet. Er kann jedem, der Buße tut, die Sünden vergeben, weil der Herr Jesus sein Blut am Kreuz für reuige Sünder vergossen hat (Heb 9:22b).

Kein Schein

Das Volk kann mit äußerer Frömmigkeit bestimmte Zeichen der Trauer zeigen. Das Zerreißen der Kleider ist ein solches Zeichen. Aber wenn das Herz nicht zerrissen ist, hat das äußere Zeichen für Gott keinerlei Wert. Gott „begehrt die Wahrheit im Innersten“ (Ps 51:8; 19; Jes 57:15). Es ist eine Umkehr zu „dem HERRN, eurem Gott“, mit der der Prophet betont, dass der HERR kein fremder Gott ist, sondern der Gott des Bundes mit seinem Volk.

Die drohende Katastrophe wird die ganze Nation betreffen, und deshalb gibt es einen Aufruf zu nationaler Demütigung. Im Allgemeinen gibt es bei nationalen Katastrophen Raum für ein nationales Gedenken, aber nicht für nationale Demütigung. Manche Ereignisse schockieren alle Teile der Bevölkerung, und manchmal gibt es eine große allgemeine Empörung. Und das oft zu Recht. Man denke nur an Terroranschläge oder an den Missbrauch und dann die Ermordung von Kindern. Es werden Protest- und Gedenkmärsche, Protest- und Gedächtnisveranstaltungen organisiert, an denen sich Massen von Menschen beteiligen. Leider konzentriert sich der Protest aber nur auf das Verbrechen, den Exzess, das Ereignis.

Der Ruf lautet: „Das darf nie wieder passieren und der oder die Täter müssen gefunden und bestraft werden.“ Dieser Ruf ist verständlich. In der Gruppe findet man sich in dem Gefühl der Ohnmacht wieder. Gemeinsam will man dem Unkontrollierbaren die Faust zeigen. Aber wo bleibt die allgemeine Demütigung? Wo ist der allgemeine Ruf zu Gott um sein Erbarmen? Wo ist der gemeinsame Ruf nach seiner Gnade und seinem Erbarmen, um uns mehr von dem Elend zu ersparen? Wo ist das gemeinsame Gebet: „Errette uns von dem Bösen“ (Mt 6:13b)? [Während ich diesen Kommentar wegen der Übersetzung ins Englische noch einmal lese, plagt die Covid-19 Pandemie die Welt. Wir können die oben genannten Reaktionen auch auf diese Plage anwenden].

Natürlich wird die Welt erst unter der Herrschaft Christi im Tausendjährigen Friedensreich wirklich frei sein von den dramatischen Ereignissen, die regelmäßig ganze Menschenmassen aufrütteln. Doch alle diese Ereignisse sind ebenso viele Aufrufe an den Menschen, zu Gott umzukehren und für Ihn zu leben.

Wie Mose es nach den Ereignissen um das goldene Kalb tat, so tut es auch Joel. Er beruft sich auf die Eigenschaften Gottes. Immer wieder sind wir beeindruckt, wenn wir uns daran erinnern, dass es in Gott Quellen gibt, die angezapft werden können, wenn die Situation bei dem Menschen aussichtslos ist. Deshalb kann Mose, nachdem das Volk mit dem goldenen Kalb gesündigt und dadurch seine Existenzberechtigung verloren hat, immer noch an Gott appellieren (2Mo 34:6-9). Deshalb kann Joel, während das Volk das Gericht verdient, das sich bereits bedrohlich ankündigt, auch hier einen Appell an Gott richten.

In seinem Appell an den HERRN erwähnt Joel fünf Eigenschaften von Ihm (vgl. Jona 4:2; Ps 86:15; Ps 103:8; Ps 145:8; Neh 9:17):

1. „Gnädig“ ist Er in sich selbst, weil Er Taten der Güte tut, wenn alles Recht auf Segen verloren ist.

2. „Barmherzig“ ist Er, weil Er schnell zu Mitleid bewegt wird, wenn Er sieht, wie elend sein Volk ist.

3. Er ist „langsam zum Zorn“ in seinem Handeln gegenüber diesem sündigen Volk und

4. „groß an Güte“, weil alle Arten von Gunst und Güte bei Ihm vorhanden sind, einschließlich der Vergebung von Schuld.

5. Schließlich lesen wir von Ihm, dass Er „sich des Übels gereuen“ lässt. Das bedeutet, dass Er, wenn Er Bekehrung sieht, die angekündigte oder bereits teilweise vollzogene Strafe zurücknimmt.

Wenn man von Reue Gottes spricht, ist das eine menschliche Redeweise. Wenn Gott etwas bereut, heißt das nicht, dass Er eine frühere Entscheidung zurücknimmt, weil sie falsch gewesen wäre. Gott macht keine Fehler. Gottes Reue hat mit einer Absicht zu tun, zu der Er zurückkehrt, wenn das Verhalten des Menschen Anlass dazu gibt.

Wenn ein Mensch bereut, wird Gott die versprochene Strafe nicht ausführen. Wenn sich ein Mensch Gott gegenüber anders verhält, ändert Gott auch seine Handlungsweise gegenüber diesem Menschen. Ein starkes Beispiel dafür ist der Aufschub des Gerichts über Ahab und sein Haus nach der (vorübergehenden) Demütigung Ahabs (1Kön 21:27-29).

Wer weiß?

Der Prophet hat gerade eine brillante Beschreibung einiger Eigenschaften Gottes gegeben. Er spricht nicht in theologischen Begriffen von Gott, sondern stellt Ihn so dar, wie er Ihn kennt. Doch in seinem Vertrauen auf Gottes Gnade lässt er sich nicht dazu verleiten, Aussagen zu machen, als ob er über Gottes Güte verfügen könnte. Deshalb heißt es in diesem Vers „wer weiß?“ Die göttliche Souveränität bleibt gewährleistet.

Die Frage „Wer weiß?“ ist kein Ausdruck des Zweifels an Gottes Güte, sondern zeigt vor allem menschliche Demut und Bescheidenheit gegenüber dem souveränen Gott, der jedes Recht hat, seine Gerichte auszuführen. Buße und Reue bedeuten nicht, automatisch Anspruch auf Gottes Gnade zu haben. Joel spricht, damit seine Hörer, wie jemand gesagt hat, „nicht an der Größe ihrer Sünden verzweifeln, aber auch, damit die Größe der Gnade sie nicht unvorsichtig macht“. Bei der Bekehrung gibt es Grund zur Hoffnung, dass Er sich vom Gericht abwendet.

Aber es gibt noch mehr. Nicht nur, dass das Gericht weicht – was schon eine große Gnade ist, wenn auch negativ –, sondern der Prophet kennt seinen Gott so gut, dass er weiß, dass Gott nach der Bekehrung seines Volkes auch einen Segen für sie hat. Mit diesem Segen kann das Volk Ihn wieder ehren. Der Segen kann sich auf die Wiederherstellung der Feldfrucht beziehen, die vom HERRN gegeben wird, so dass wieder „Speisopfer und Trankopfer“ gebracht werden können.

Das Ziel eines jeden Erlösungswerkes, das Er vollbringt, ist, dass Er geehrt wird. Ob es sich um eine irdische Errettung handelt, wie bei der Befreiung Israels von seinen Feinden, oder um eine geistliche Errettung, wenn ein Mensch von der Macht Satans und der Sünde befreit wird, das Endziel wird immer sein, Gott und seinen Christus zu verherrlichen.

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