‏ Acts 20

Kapitel 20

16-38 Paulus verabschiedet sich hier von den der Leitung der Gemeinde, die er selbst gegründet hat. Es ist die einzige Rede in der Apostelgeschichte, die an Christen gerichtet ist; aus diesem Grund hat sie starke Ähnlichkeiten mit den Briefen des Paulus. Anhand seines Vorbildes ermahnt er die Gemeinde zur Nachfolge. Lukas berichtet nur diese Abschiedsrede, obwohl sich Paulus auf der Reise nach Jerusalem sich auch mit anderen Gemeinden getroffen hat. 16Denn Paulus hatte es sich vorgenommen (entschieden), an Ephesus vorbei zu fahren, um keine Zeit in [der Provinz] Asien zu verlieren; denn er beeilte sich, um am Tag des Pfingstfestes in Jerusalem zu sein, wenn es [ihm] möglich ist. 17Von Milet [aus] sandte er [eine Nachricht] nach Ephesus
Sowohl Ephesus als auch Milet sind Hafenstädte. Sie sind ca. 70 km voneinander entfernt, also etwa 2–3 Tagesreisen (Schnabel 2002, 1177). Milet wird als unbedeutende Stadt dargestellt: es scheint keine Gemeinde dort zu geben, und selbst die Wolle, für die diese Handelsstadt berühmt war, wird nicht erwähnt.
, um die Ältesten der Kirche zu sich kommen zu lassen.
18Als sie bei ihm angekommen waren
tFN: Zeitform hier Aor. Inhaltlich macht Vorvergangenheit mehr Sinn.
, sagte er ihnen: „''Ihr'' wisst, wie von dem ersten Tag an, als ich Asien betrat
Paulus erinnert an seine Ankunft in Ephesus, die Hauptstadt der römischen Provinz Asia/Asien. Wir wissen von zwei Aufenthalten: sein erster Aufenthalt war am Ende der zweiten Missionsreise (Apg 18,19). Sein längerer Aufenthalt folgt erst in der dritten Missionsreise: in Apg 19,10 werden 2 Jahre erwähnt, nachdem er bereits 3 Monate in den Synagogen gepredigt hatte (Apg 19,8). Die Angabe drei Jahre (V. 31) könnte der inklusiven Zählung zugrunde liegen, bei der angebrochene Jahre mitgezählt werden.
, die ganze Zeit (immer) mit (bei) euch gewesen bin,
19indem ich dem Herrn diente mit aller Demut (Bescheidenheit) und [unter] Tränen und Versuchungen (Prüfungen, Anfechtungen)
Die deutsche Übersetzung kann nicht wiedergeben, dass die drei Verhaltensweisen (Demut, Tränen und Versuchungen) hier grammatikalisch gleichgeordnet sind, sie sind Charakteristika für den Dienst des Paulus.
, die mir entgegentraten (begegneten) in den Anschlägen der Juden.
20[Ihr wisst auch,] wie ich nichts von dem zurückhielt (vorenthielt, verschwieg), was für euch hilfreich ist
Vgl. V. 27, der fast parallel aufgebaut ist.
, indem ich es nicht verkündige
Die doppelte Verneinung »[es gibt] nichts, was ich euch nicht verkündigt hätte«, betont die Vollständigkeit seiner Lehre: er hat nichts verschwiegen, den ganzen Willen Gottes gepredigt, und zwar sowohl den Juden als auch den Griechen; sowohl öffentlich als auch privat, also: mit vollem Einsatz. (Zmijewski 1994, 741)
. [Nein, ] ich habe euch gelehrt öffentlich und in [euren] Häusern,
21indem ich sowohl den Juden als auch den Griechen eindrücklich
 διαμαρτυρόμαι ist stärker als »bezeugen« (so ELB, LUT, SCHL): durch die Vorsilbe  δια - hat es eine feierlichen, beschwörenden Klang (Haubeck &Siebenthal 2007, 814)
bezeugte, dass sie zu Gott umkehren und an unseren Herrn Jesus Christus glauben sollen.
22Und nun, siehe, [weil] ich an den Geist gebunden (gefesselt) bin
tFN: Welcher Geist ist hier gemeint? Ist hier der Heilige Geist gemeint, also »gebunden durch den (Heiligen) Geist« (dat. instrumentalis, so LUT, NGÜ, NIV)? Dann ist seltsam, dass die Qualifizierung »heilig« hier fehlt, in V. 23 aber erwähnt wird. Allerdings wird »Geist« und »Heiliger Geist« in der Apostelgeschichte oft austauschbar verwendet (am deutlichsten Apg 2,4; 8,17–19). Oder handelt es sich um einen idiomatischen Superlativ der geistigen Tätigkeit des Paulus (»mit fester Entschlossenheit«, so Bullinger 1898, 832)? Dafür würde sprechen, dass bereits in Apg 19,21 von dieser Entscheidung mit dem Idiom »im Geist« gesprochen wird. In diesem Fall würde es sich hier um eine Wiederholung und Steigerung (»gebunden«) handeln. Wir schließen uns der Entscheidung von Bruce (1990, 413) an, der beide Alternativen nennt und sich für die erste Variante entscheidet für beide Stellen.
, gehe ich nach Jerusalem und weiß nicht, welche [Dinge] mir dort geschehen werden.
23[Ich weiß] nur, dass der Heilige Geist mir in jeder Stadt sagt, dass mich Fesseln und Bedrängnis erwarten
Erst in Apg 21,11 wird die Warnung konkreter: »fremde Nationen« werden ihn fesseln (was in Apg 21,33 geschah)
.
24Aber mein Leben ist nicht der Rede wert.
Die grammatikalische Konstruktion ist hier schwierig zu deuten, weil zwei emphatische Ausdrücke kombiniert werden, inhaltlich aber ist klar: Paulus hält sein Leben »für absolut wertlos« (Dupont 1966, 67f).
Wenn ich nur meinen Lauf (Wettlauf) vollenden (beenden)
Textkritik: SCHL fügt hier hinzu, "mit Freuden". (textus receptus)
könnte, den Dienst, den ich durch den Herrn Jesus bekommen habe: das Evangelium der Gnade Gottes zu bezeugen!
25Und nun, siehe, ''ich'' weiß (bin mir sicher), dass keiner mehr mein Angesicht sehen wird, ihr alle, unter denen ich das Königreich [Gottes] verkündet (gepredigt) habe. 26Darum bezeuge ich an diesem Tag, dass ich rein (unschuldig) bin von dem Blut aller.
Apg 18,6 zeigt, dass er mit dem Blut die fehlende Errettung meint, also »Ich bin unschuldig, wenn einer von euch verloren geht.« (vgl. Zmijewski 1994, 743). Aber ist nicht jeder für seine eigene Errettung zuständig? Hier hilft ein Verweis auf Wächteramt von Hesekiel: wenn der Prophet Gottes Gerichtswarnung verschweigt, so wird das Gericht den Gottlosen treffen, die Blutschuld aber Hesekiel (Hes 3,18;33,6).
27Denn ich habe nicht verschwiegen, sondern euch den ganzen Willen (Absicht, Plan) Gottes verkündet. 28Richtet euren Sinn (Gebt acht) auf euch selbst und die ganze Herde, in der euch der Heiligen Geist zu Aufseher (Bischöfe, Hirten, Pastoren)
Bei diesen Aufsehern ( ἐπισκόποι ) handelt es sich um die gleiche Personengruppe wie in V. 17: Älteste ( πρεσβυτέροι ). Wir denken bei Ältesten und Bischöfe zuerst an Autorität und Hierarchie; dies wäre hier anachronistisch. Zu der damaligen Zeit waren beide Begriffe wohl Umschreibungen für die gleiche Aufgabe: sich um die Gemeinde fürsorglich zu kümmern. Paulus erinnert hier an die Verantwortung ihrer Leiterrolle. (vgl. Stott 2000, 473)
bestellt hat, damit ihr die Gemeinde Gottes
Textkritik: viele Handschriften haben hier "Gemeinde des Herrn". Vgl. Metzger 1971, 425-427
weidet (für sie sorgt), die er erwählt hat durch sein eigenes Blut
d.i. durch den Blut seines eigenes [Sohnes]. Vgl. NSS; Dupont: "Paulus an die Seelsorger (1966), S. 107-109
.
29''Ich'' weiß, dass mit meiner Abreise [immer wieder]
Präsens-Stamm, durativ-iterativ.
gefährliche Wölfe hereinbrechen werden in eurer [Mitte]. Sie werden die Herde nicht verschonen.
30Und aus euch selbst (aus eurer Mitte) werden Menschen auftreten, die Verdrehtes reden, um die Jünger wegzuziehen hinter ihnen her
Also: die Jünger aus der Herde zu entfernen. Stattdessen schließen sie sich diesen Irrlehrern an.
.
31Darum wachet; erinnert euch daran, dass ich drei Jahre lang Tag und Nacht nicht aufhörte, jeden von euch unter Tränen zu ermahnen. 32Und nun vertraue ich euch Gott und dem Wort (Botschaft) seiner Gnade an, das
LUT: "der" fähig ist, also Gott. Das Relativpronomen kann sich tatsächlich auf beides beziehen, denn  θεός und  λόγος haben den gleichen Genus. Im Kontext der Verse 20.24.27 ist es allerdings wahrscheinlicher, dass Paulus hier die Predigt meint, dessen Inhalt die Gnade ist.
kräftig (fähig) ist, [euch] aufzubauen und [euch] das Erbteil (Erbe) unter allen Geheiligten zu geben.
33Silber oder Gold
Silber oder Gold: Paraphrastisch für "Geld". Könnte in der Lesefassung als "Münzen oder Scheine" wiedergegeben werden.
oder Kleidung habe ich von niemandem verlangt (begehrt).
Als Hintergrund für die nun folgende Ermahnung muss uns bewusst sein: Paulus hat die Jersualem-Kollekte dabei. Lukas erwähnt diese nicht explizit, aber Apg 20,4 deutet stark auf die anvisierte Delegation der Gemeinden (1Kor 16,3) hin (Böttrich 2013). Diese Kollekte ist eine freiwillige Gabe (2Kor 8,3.8; 9,7), die die Verbundenheit der überwiegende heidenchristlichen Gemeinden mit den Judenchristen in Jerusalem ausdrückt (Gal 2,10), und für die Armen in Jerusalem bestimmt ist (2Kor 9,7).
34Ihr selbst wisst, dass meinen Bedürfnissen und denen, die mit mir waren, diese meine
Betonung. Vielleicht auf deutsch: "meine eigenen Hände"
Hände gedient haben.
Er hat selbst den Unterhalt für sich und seine Begleiter erarbeitet. Dass dies nicht selbstverständlich war, wird in 1Kor 9 deutlich: natürlich haben die Leviten, und damit auch die Wanderprediger (1Kor 9,14), Recht auf Unterhalt. Er verzichtet darauf, nicht weil es von Gott so befohlen ist, sondern freiwillig, um der Verbreitung des Evangeliums in keinster Weise ein Hindernis zu sein (1Kor 9,12). Als er im Gefängnis ist, nimmt er eine Gabe von den Philippern dankend an (Phil 4,10–18).
35Alles habe ich euch gezeigt, dass während man arbeitet (sich abmüht), es
Im Griechischen fehlt das Subjekt. Darum haben die Übersetzung hier verschiedene Formulierungen gewählt: man (soll/kann ...) (ELB, LUT, SCHL, EU, HFA), wir (NGÜ, GNB, NeÜ, NIV), ihr (NLB, KJV).
notwendig ist, den Schwachen (Kranken) zu helfen
Er begründet sein Verhalten mit dem jüdischen Wohlfahrtsgedanken: wer etwas hat, soll mit dem Teilen, der nicht genug hat (5Mo 24,19; Sach 7,9f; Lk 3,11).
und das Wort des Herrn Jesu zu erinnern, der selbst sagte: 'Geben ist seliger (macht glücklicher)
Das Wort  μακάριος hat dabei sowohl einen horizontalen, als auch einen vertikalen Aspekt: es macht glücklicher, aber auch: es ist gesegneter (Becker 2000, 1642f).
als Nehmen.'
Dieses Jesus-Wort ist nicht in den Evangelien überliefert. Aber vgl. Lk 6,38
36Und als er das gesagt hatte, kniete er sich hin und betete mit ihnen allen. 37Danach fingen alle laut (stark, viel) an zu weinen, sie fielen Paulus um den Hals und küssten ihn immer wieder
Impf - durativ iterativ (oder linear: sie hörten nicht auf, ihn zu küssen). Beides spricht von einem längerem Abschied.
.
38Am meisten bekümmerte sie {das Wort}, dass er {ihnen} gesagt hatte, dass sie ihn nicht mehr persönlich sehen werden. Dann begleiteten
w. sie statteten ihn zur Weiterreise aus. D.h. sie taten alles, was sie konnten, um Paulus ein letztes Mal Ehre zu erweisen. Antike Gastfreundschaft
sie ihn zum Schiff.
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