Mark 2
Kapitel 2
1-12 Verpackt in eine anschauliche Szene stellt Markus dar, dass Jesus die Vollmacht hat, Sünden zu vergeben. 13-17 Der Abschnitt schließt inhaltlich an den vorhergehenden Text an und macht deutlich, dass Jesus nicht nur Sünden vergibt, sondern Sünder auch in seine Gemeinschaft aufnimmt. Dadurch wächst sowohl die Zahl seiner Anhänger als auch der Widerstand seiner Gegner. 18-22 Die bildreichen Worte Jesu haben im Zusammenhang des Evangeliums die Funktion, die neue Lehre Jesu, wie sie bereits mehrfach durch verschiedene Szenen vorher beschrieben wurde, nochmals zu verdeutlichen. 1 ▼▼[Status: Zuverlässig]
Und als er nach [einigen] Tagen wieder (zurück) nach Kafarnaum kam ▼▼kam Ptz. conj. (Ptz. Aor.), als temporaler Nebensatz (mit „als“) aufgelöst.
, wurde bekannt ▼▼wurde bekannt W. „wurde gehört“ Oder: „als er wieder … kam, wurde nach einigen Tagen bekannt“ (Collins 2007, 184).
, dass er zuhause (in einem [bestimmten] Haus) ▼▼zuhause bzw. in einem [bestimmten] Haus Die erste Bedeutung ist üblich und somit wahrscheinlicher, auch wenn die andere durchaus möglich ist (Collins 2007, 181; NSS). Denkbar, dass Simons Haus gemeint ist wie in 1,29-34 (Guelich 1989, 81). in einem [bestimmten] Haus Im Deutschen wäre die etwas freiere Übersetzung „in welchem Haus er sich aufhielt“ besser verständlich. Es geht dann also darum, dass Jesu Aufenthaltsort bekannt wurde, ohne eine Aussage über das nämliche Haus zu machen. Um das zu vermitteln, wurde [bestimmten] ergänzt.
war ▼▼war W. „ist“.
. 2Und es kamen (sammelten sich) so viele [Leute] zusammen, dass es keinen Platz mehr gab, auch nicht (nicht einmal) vor (bei) der Tür, und er erläuterte (verkündete, sagte) ihnen [seine] Botschaft (das Wort) ▼▼er erläuterte [ihnen] seine Botschaft W. „sprach das Wort (zu) ihnen“ (Imperfekt). Ähnlich wie in 4,33 und 8,32 meint die Phrase wohl, dass Jesus ihnen seine Botschaft (=Wort) erklärte oder predigte (France 2002, 122, ähnlich GNB). In 1,45 meinte „Wort“ die Geschichte (oder Neuigkeit) des geheilten Aussätzigen. Das Wort steht meist für eine im Kontext bekannte Botschaft, für Redeinhalt. Bei Jesus ist das das Evangelium bzw. die Heilsbotschaft vom nahen Reich/Herrschaft Gottes (wie Mk 1,21; s.a. Mk 4,14 und die dortige Fußnote). Im NT bezeichnet es oft den Inhalt der Verkündigung von Jesus und den frühen Christen, z.B. Apg 6,4; Gal 6,6; Kol 4,3 (Guelich 1989, 84). erläuterte Duratives Imperfekt.
. 3Derweil (Und) kamen ▼▼kamen Historisches Präsens.
[einige Leute] und brachten einen Gelähmten ▼▼Gelähmter (Gr. παραλυτικός ) Seine genaue Behinderung ist unbekannt. Wir erfahren nur, dass er nicht laufen konnte und offensichtlich behindert, vielleicht bettlägrig war (vgl. France 2002, 123).
zu ihm. Er wurde von vier [Männern] getragen. ▼▼Er wurde getragen Attributives Partizip, als unabhängiger Hauptsatz aufgelöst. Auch ein Relativsatz wäre möglich („der getragen wurde“).
4Und (Doch) weil (als) es ihnen wegen die Menschenmenge nicht gelang (sie nicht konnten), ▼▼weil (als) es ihnen nicht gelang Kausal oder temporal zu verstehendes Ptz. conj. (Ptz. Präs.), als Nebensatz mit „weil“ aufgelöst. NSS, NGÜ: „weil sie nicht zu Jesus durchkamen“.
ihn zu [Jesus] zu bringen, deckten (entfernten) sie [über der Stelle], wo er war, das Hausdach ab, und ließen ▼▼ließen Historisches Präsens.
die Matte hinab, auf der der Gelähmte lag, nachdem sie eine [entsprechende] Öffnung geschaffen hatten ▼▼nachdem sie eine [entsprechende] Öffnung geschaffen hatten Ptz. conj. (Ptz. Aor.), als temporaler Nebensatz (mit „nachdem“) aufgelöst und aus stilistischen Gründen nachgestellt. W. etwa „deckten ab... und, eine Öffnung geschaffen habend/schaffend, ließen...“ Man kann es auch modal verstehen: „indem sie … schufen, ließen sie“ Gr. ἐξορύξαντες bedeutet „aufgraben, aufbrechen“. Die Männer gelangten wohl über eine Außentreppe auf das flache Dach. Palästinische Hausdächer bestanden aus Baumstämmen oder Balken, die mit Zweigen und festgetretenem Lehm abgedeckt waren (Lukas 5,17 berichtet auch von Ziegeln), die genaue Konstruktion konnte aber variieren. Auch die Ausleger sind sich nicht alle einig (vgl. die Übersicht bei Blight 2012, 99f.). Je nachdem, ob das Haus tatsächlich auch mit Dachziegeln bzw. einer Art von tönernen Platten belegt war (Lukas könnte die Geschichte für seine südeuropäischen Leser kontextualisiert haben), könnten die Männer das Dach fast gar nicht oder sogar sehr schwer beschädigt haben. Dementsprechend gibt es verschiedene Übersetzungsvorschläge. Der hier vorgezogene versteht das Partizip als temporale Umstandsangabe: 1. Die Männer deckten das Dach ab. 2. Sobald eine genügend große Öffnung da war, ließen sie den Mann herab (so Guelich 1989, 85 und die meisten Übersetzungen). Eine andere Deutung geht von drei Schritten aus: 1. Die Männer deckten das Dach, d.h. die äußere Schicht ab. 2. Dann brachen sie durch das Holz- und Lehmwerk, das sich darunter befand und die Decke bildete. 3. Anschließend ließen sie den Mann hinab (so GNB, ZÜR).
. 5Und als Jesus ihren Glauben (Vertrauen) sah, ▼▼als … sah Als temporaler NS aufgelöstes Ptz. conj. (Ptz. Aor.). Markus formuliert hier metonymisch (Wirkung für Ursache), denn Jesus sieht natürlich nicht die Gesinnung der Männer, sondern deren Ergebnis. Daher übersetzt ZÜR: „Als Jesus nun ihren Glauben erkannte“.
sagte ▼▼sagte Historisches Präsens.
er zu dem Gelähmten: „[Mein] Sohn (Kind), deine Sünden sind vergeben!“ 6Es waren {aber} einige Schriftgelehrte (Schreiber) da (dort), die dabeisaßen und [alles miterlebten]. Sie setzten sich (kämpften, überlegten, erwogen) ▼▼dabeisaßen und setzten sich [mit Jesu Worten] auseinander ἦσαν + Partizip umschreibt das Imperfekt (Umschreibende Konjugation, Bauer zu ειμι, BDR §353). Hier kommt durch den durativen Aspekt zum Ausdruck, dass die Schriftgelehrten die Geschehnisse miterlebten. Das ist der Grund für die Einfügung [alles miterlebten]. Möglich wäre auch eine Formulierung mit einem Adverb wie „unterdessen“, „derweil“, „dabei“. Aufgrund der Einfügung bildet setzten sich [mit Jesu Worten] auseinander aus stilistischen Gründen nun einen eigenen Satz, wobei zur eleganten Wiedergabe in Verbindung mit in Gedanken die Ergänzung von [mit Jesu Worten] notwendig wurde. EÜ dagegen: „dachten im Stillen“, NGÜ: „lehnten sich innerlich dagegen auf “.
in Gedanken ▼▼in Gedanken W. „in ihren Herzen“. In der damaligen Kultur galt das Herz als der denkende und fühlende Körperteil. Noch schöner wäre die Formulierung „gedanklich“.
[mit Jesu Worten] auseinander: 7„Warum redet der so? Er lästert Gott! Wer kann Sünden vergeben außer dem einen Gott (einem – Gott)?“ q 8Und Jesus erkannte ▼▼erkannte … darum Ptz. conj. (Ptz. Aor., temporal-kausal), hier – mit sofort – gleichzeitig verstanden, wobei darum auf den kausalen Sinn hinweist. Vorzeitig: „Jesus hatte sofort erkannt“ (vgl. NGÜ).
in seinem Geist ▼▼in seinem Geist Die Formulierung spielt vielleicht einfach auf den kognitiven Prozess an wie {bei sich} (V. 8) und „in ihren Herzen“ (siehe Fußnoten zu V. 6.8) (NSS). Es ist jedoch bemerkenswert, das im AT nur Gott die Gedanken der Menschen kennt (z.B. 1Kö 8,39; Jer 11,20, nach Pesch 1976, 159). Dass Jesus ihre Gedanken lesen kann, sollte ihn zusammen mit der folgenden Heilung gegenüber den Schriftgelehrten klar als von Gott gesandt auszeichnen – und den Vorwurf der Blasphemie so entkräften (Guelich 1989, 88).
sofort, dass sie so {bei sich} dachten, darum sagte ▼▼sagte Historisches Präsens.
er zu ihnen: „Warum habt ihr solche Gedanken? ▼▼Warum habt ihr solche Gedanken? W. »Warum denkt/erwägt ihr dies/solche [Gedanken] in euren Herzen?« Der wesentlich einfachere deutsche Satz scheint genau wiederzugeben, was der (wesentlich schwieriger wörtlich in gutes Deutsch zu übersetzende) griechische Satz meint. Zu »in euren Herzen« s. die Fußnote zu »in Gedanken« in V. 6. Die Doppelung »in Gedanken denken« hat schon dort zu der eleganteren Übersetzung »sie setzten sich in Gedanken [mit Jesu Worten] auseinander« geführt (s. die entsprechende Fußnote in V. 6), hier lässt sich dieselbe Formulierung aber nicht so übersetzen. NGÜ: »Warum gebt ihr solchen Gedanken Raum in euren Herzen?«, GNB: »Was macht ihr euch da für Gedanken?«
9Was ist leichter (einfacher) – zu dem Gelähmten zu sagen: »Deine Sünden sind dir vergeben« oder {zu sagen}: »Steh auf und nimm deine Matte und laufe umher«? 10Aber damit ihr erkennt (wisst), dass der Menschensohn (Sohn des Menschen; Mensch) ▼▼Menschensohn (Sohn des Menschen; Mensch) ist Jesu häufige Selbstbezeichnung. Sie taucht hier zum ersten Mal in Mk auf und wird im zweiten Teil des Evangeliums (ab Mk 8) deutlich häufiger auftreten. Ihr Hintergrund ist komplex und ihre Verwendung noch nicht vollständig geklärt. Sicher ist, dass Jesus sich damit nicht als gewöhnlicher Mensch bezeichnet (wie die Phrase in anderen Kontexten auf Hebräisch und Aramäisch zu verstehen ist), sondern sich von anderen abhebt. Nur er hat die außerordentliche Gewalt zur Vergebung der Sünden. In der Wahl der Bezeichnung dürfte der »Menschensohn« (bzw. »Mann«) aus Dan 7,13-14 eine Rolle gespielt haben, der ewige messianische Macht erhält und dem alle Nationen dienen. Jesus scheint zu seiner Zeit dennoch der einzige gewesen zu sein, der diese Bezeichnung auch als Titel auch für den erwarteten Messias (nämlich sich selbst) benutzte. Der Titel bot wohl auch den Vorteil, dass er nicht dieselben politischen Erwartungen weckte wie andere, geläufigere Messiasbezeichnungen, so wie »Messias« oder »Sohn Davids« (France 2002, 127f.; Collins 2007, 187ff.). (Guelich 1989, 90 meint dagegen, dass Jesus wenigstens an dieser Stelle die Bezeichnung als rhetorische Alternative zu »ich« benutzt.) Jesus gibt den Schriftgelehrten ein Rätsel auf. Wenn sie den alttestamentlichen Bezug seiner Aussage verstehen, erkennen sie auch seinen Anspruch (Collins 2007, 187).
[das] Recht (die Macht, Vollmacht, Entscheidungsgewalt) hat, auf der Erde Sünden zu vergeben —“, sagte er zu dem Gelähmten: 11„— sage ich dir: Steh auf, nimm deine Matte und geh nach Hause ▼▼nach Hause Oder »in dein Haus«
!“ 12Da (und) stand er auf, hob (nahm) umgehend seine Matte auf ▼▼hob auf Temporal-modales Ptz. conj., beigeordnet.
und ging vor aller Augen hinaus, sodass alle fassungslos (erstaunt, außer sich) waren und Gott lobten. Sie riefen (sagten) ▼▼Sie riefen Ptz. conj. (modal-temporal), vielleicht pleonastisch. Hier als separater Hauptsatz übersetzt.
: „So etwas haben wir noch nie erlebt (gesehen)!“ 13Danach (Und) ging [Jesus] wieder hinaus ▼ , ans (an ... entlang) Meer (See) ▼▼Meer Gemeint ist der See Gennesaret (bei Markus: „Meer von Galiläa“, vgl. 1,16), an dessen Ufer Kafarnaum lag. Wer Markus von Anfang an liest, stellt diesen Bezug hier mühelos her.
. Und die gesamte Menschenmenge kam zu ihm, und er lehrte ▼ sie. 14Und im Vorbeigehen (als er vorbeiging/vorüberging) ▼▼im Vorbeigehen Ptz. conj. (temporal), hier als Präpositionalphrase übersetzt. Auch möglich: „als/während er vorbeiging“
sah er Levi, den [Sohn] von Alphäus, an der Zollstelle (Zollhaus, Zoll) ▼▼Zollstelle Kafarnaum lag an der Grenze zwischen den Tetrarchien von Herodes Antipas und Herodes Philippus, weswegen man hier von den Händlern Warenzölle erhob. Die in den Evangelien erwähnten Zöllner (Gr. τελώνης ) waren dafür zuständig. Auch Levi gehörte zu den Zollbeamten, die in Antipas’ Auftrag die auf Handelswaren anfallenden Gebühren einsammelten. Kopfsteuern erhob dagegen die römische Regierung (France 2002, 131f.; vgl. Guelich 1989, 100f.).
sitzen ▼ und sagte zu ihm: „Folge mir nach!“ ▼▼„Folge mir nach!“ Etwas freier vielleicht auch „Schließe dich mir an!“ Vgl. Mk 1,16-20.
Da (Und) stand [Levi] auf ▼▼stand auf Beschreibendes Partizip (Aorist).
und folgte ihm nach. ah 15Und {es ereignete sich} [als] er [später] ▼▼{es ereignete sich} Im Deutschen umschreibt [als] er [später]... die griechische Satzeinleitung, die aus dem historischen Präsens γίνεται und einem AcI besteht (NSS).
in seinem Haus ▼▼in seinem Haus Markus meint wohl Levis Haus, in das Jesus eingeladen ist (so auch Lk 5,29), doch es könnte sich aber auch um Jesu Haus (Mk 2,1) handeln, in dem Levi zu Gast ist.
bei Tisch war (zu Gast war) ▼▼bei Tisch war (zu Gast war) W. „[zu Tisch] lag“. Juden saßen zum Essen für gewöhnlich, doch zu besonderen Anlässen lag man nach dem Vorbild der griechischen Kultur zum Essen an niedrigen Tischen. Offenbar hielt Levi ein Festmahl ab (Guelich 1989, 101; France 2002, 132).
, nahmen auch (und) viele Zolleinnehmer (Zöllner) und Sünder zusammen mit Jesus und dessen Jüngern an der Mahlzeit teil ▼ . Es waren nämlich viele, die ▼▼die Eigentlich „und“, καὶ kann aber auch in der Funktion eines Relativpronomens genutzt werden (BDR §442.4).
ihm nachfolgten. 16Doch (Und) als die Schriftgelehrten (Schreiber) der Pharisäer ▼▼die Schriftgelehrten der Pharisäer (Gen. part.), der Genitiv zeigt Parteizugehörigkeit an. Nicht alle Pharisäer waren Schriftgelehrte, und nicht alle Schriftgelehrten waren Pharisäer – gemeint sind also die pharisäischen Schriftgelehrten.
sahen, ▼▼als … sahen Ptz. conj. (Aorist), als temporaler Nebensatz aufgelöst.
dass er mit den Sündern und Zolleinnehmern (Zöllnern) aß ▼▼aß W. „isst“
, sagten sie zu seinen Jüngern: „Warum ▼▼Warum Die gering verbreitete, aber schwierigste erhaltene Variante ὅτι ist schwer zu deuten. 1. Es könnte eine Kontraktion von τί ὅτι »warum« (BDR §300.2) sein. 2. Es könnte ein ὅτι recitativum sein, die Frage lautet dann nur: »Er ist mit Zolleinnehmern und Sündern?(!)« 3. Schließlich könnte es sich auch um einen Teil der Frage bzw. des Ausrufs handeln: »Dass er mit Zolleinnehmern und Sündern isst!« (France 2002, 134)
isst er mit Zolleinnehmern (Zöllnern) und Sündern?“ 17Aber (Und) als Jesus [das] hörte, ▼▼als … hörte Ptz. conj., temporal als Nebensatz mit „als“ aufgelöst.
sagte er zu ihnen {dass} ▼▼{dass}: Das ὅτι recitativum übersetzt man am besten als Doppelpunkt.
: „Nicht die Gesunden haben einen Arzt nötig (brauchen), sondern die Kranken (die, denen es schlecht geht). ▼▼die, denen es schlecht geht Subst. Ptz., als Relativsatz aufgelöst. die Kranken ist eine geläufige Übersetzung dieser Wendung, die wir auch Mk 1,32.34 und 6,55 verwenden.
Ich bin nicht gekommen, [um] die Gerechten zu rufen (berufen, zusammenzurufen, einzuladen), sondern die Sünder!“ 18Nun (Und) hatten die Jünger von Johannes und die Pharisäer die Angewohnheit, regelmäßig zu fasten (fasteten zu dieser Zeit) ▼▼hatten die Angewohnheit, regelmäßig zu fasten ἦσαν + Partizip präs. umschreibt das Imperfekt (Umschreibende Konjugation, Bauer zu ειμι, BDR §353). Die kursive Übersetzung versucht, das zu umschreiben. Das umschriebene Imperfekt bezeichnet hier entweder den als Angewohnheit gepflegten religiösen Brauch (so Luther, EÜ, ZÜR, NGÜ aü) oder beschreibt einen aktuell stattfindenden Vorgang: fasteten zu dieser Zeit (im Zusammenhang mit V. 15 dann gerade zu der Zeit, als bei Levi das Gastmahl stattfand), was dann Auslöser der folgenden Frage wäre (NGÜ, GNB, Menge). Allerdings macht Markus keine Angaben zum Anlass des Fastens, und die Kritiker scheinen eher eine grundsätzliche Anfrage zu stellen, als zu fragen, warum sich Jesu Jünger nicht an einem gleichzeitig stattfindenden Fasten beteiligen (Vgl. Collins 2007, 197). Johannes und seine Jünger führten einen spartanischen Lebensstil (Mk 1,6; siehe auch die ähnlichen Texte in Mt 11,16–19; Lk 7,31–35). Einige Pharisäer fasteten neben den jährlichen Fastenzeiten und verschiedenen anderen Anlässen (Trauer, Reue) auch montags und donnerstags (Lk 18,12; Guelich 1989, 109).
. Und [Leute] kamen und fragten (sagten zu) ▼▼kamen und fragten Historisches Präsens.
ihn: „Weshalb fasten die Jünger von Johannes und die Jünger der Pharisäer ▼▼Jünger der Pharisäer Da es bei den Pharisäern keine Jünger gab (die Formulierung aber aus rhetorischen Gründen zum Einsatz kommt; France 2002, 138), wäre in diesem Vers die durchgängige Übersetzung »Anhänger« vielleicht passender.
, aber deine Jünger fasten nicht?“ 19Da (Und) erwiderte (sagte) Jesus {zu ihnen}: „Ja (etwa) können die Hochzeitsgäste des Bräutigams ▼▼Hochzeitsgäste des Bräutigams Wörtlich: »die Söhne des Hochzeitssaals/Brautgemachs«, eine semitische Bezeichnung für die Hochzeitsgäste bzw. die Gruppe von Gästen, die den Anhang des Bräutigams bilden und ihm nahe stehen (NSS; Collins 2007, 198f.). Wenn Jesus sich mit dem Bräutigam vergleicht, benutzt er ein Bild, das im AT Gott vorbehalten war (ebd. 199).
denn fasten, während der Bräutigam bei ihnen ist? Solange sie den Bräutigam bei sich haben, können sie unmöglich (nicht) fasten! 20Es werden jedoch Tage kommen, wenn der Bräutigam {von} ihnen weggenommen wurde ▼▼weggenommen wurde Das Aorist funktioniert hier wie das Futur 2. Es wäre wohl zu viel in den Vers hineingelesen, wenn man hier einen direkten Bezug zu einem Fasten am Karfreitag (oder dessen eingedenk an allen Freitagen) ausgehen würde, wie das in der Vergangenheit geschehen ist (z.B. formuliert GNB: »dann werden sie fasten, immer an jenem Tag.«). Jesus spricht von einer Zeit, in der er schon nicht mehr da sein wird, nicht von dem einen Tag, an dem er fortgenommen werden wird (eine Beschreibung, die sich – als erste Todesvorhersage bei Markus – wohl tatsächlich auf seinen Tod bezieht)(Guelich 1989, 112ff.; France 2002, 140).
, und dann, an diesem Tag ▼▼Tage/Tag Wie im AT häufig stehen hier Tage, wo man auf Deutsch »(eine) Zeit« sagen würde.
, werden sie fasten. 21Niemand näht einen Flicken [aus] neuem (ungewalktem, noch nicht eingelaufenem) Stoff ▼▼[aus] neuem (ungewalktem, noch nicht eingelaufenem) Stoff Das benutzte griechische Adjektiv (im NT nur noch in Mt 9,16) wird meist einfach mit »neu« übersetzt (Menge, NSS, BA: »ungewalkt«), im Englischen dagegen mit »unshrunken«=»noch nicht eingegangen« wiedergegeben. Beim Walken wird der »rohe« Wollstoff in Wasser mit Chemikalien behandelt und gekämmt, geknetet oder geschlagen, wobei man es in die gewünschte Form zieht. So verfilzt das Material, es läuft ein und wird fester und formstabiler. Ein Flicken aus ungewalktem Stoff wird beim Waschen also Einlaufen und so das geflickte Kleidungsstück lädieren (LBD wool; France 2002, 141). [aus] Gen. materiae.
auf ein altes Kleidungsstück, sonst reißt das eingesetzte Stück (der Flicken) von ihm ab – das Neue vom Alten – und es entsteht ein [noch] schlimmerer Riss. 22Und niemand füllt jungen (neuen) Wein in alte Schläuche. Ansonsten wird der Wein die Schläuche zerreißen (sprengen) und der Wein ist verloren (geht verloren), wie auch die Schläuche. ▼▼Wein beginnt innerhalb weniger Stunden nach dem Pressen zu gären. Bis der Gärprozess abgeschlossen war, füllte man den Wein damals in Tongefäße oder Lederschläuche. Das bei der Gärung entstandene Kohlenstoffdioxid konnte entweichen, weil man die Gefäße zunächst nicht verschloss (vgl. Hiob 32,19). Neue Lederschläuche waren diesem Druck gewachsen und dehnten sich aus, während alte, brüchige Schläuche dadurch kaputt gehen konnten (LBD, Wine; France 2002, 141f.).
Jungen (neuen) Wein [füllt man] doch (vielmehr) in neue Schläuche.“ 23{Und es ereignete sich} [Einmal, als] ▼ er am Sabbat durch die Getreidefelder hindurchging (vorbeiging), da fingen seine Jünger an, unterwegs {die} Ähren abzureißen. ▼▼fingen seine Jünger an, unterwegs {die} Ähren abzureißen Impliziert ist die weitere Information: „und zu essen“ (vgl. NGÜ), wie die Parallestellen Mt 12,1 und Lk 6,1 verdeutlichen. W. „fingen seine Jünger an, [sich] einen Weg zu bahnen, wobei (indem) sie Ähren abrissen.“ Was genau die Jünger taten, wird erst auf den zweiten Blick klar. Man erhält zunächst den Eindruck, dass die Jünger sich einen Weg durch das Feld bahnten, nicht indem sie die Halme flachtraten, sondern indem sie sie einzeln abrissen! Zu diesem Missverständnis tragen gleich zwei ungewöhnliche Phänomene bei. Erstens ist i.d.R. das adv. Ptz. Aor. eigentlich Umstandsangabe und das finite Verb Haupthandlung. Wer den Satz so liest, versteht ihn jedoch falsch. Besser ist es anzunehmen, dass die partizipiale und die finite Form in diesem Fall in einer sprachlichen Eigenheit vertauscht wurden (so BDR §339 Fn 5; NSS). Die wörtliche Übersetzung müsste also etwa so lauten: „während sie [sich] einen Weg bahnten, begannen sie, Ähren abzureißen.“ Das zweite Phänomen betrifft das Verständnis dieser Umstandsangabe, also dem mit „während“ eingeleiteten ersten Satzteil in der soeben zitierten wörtlichen Übersetzung. ὁδὸν ποιεῖν heißt hier nicht „einen Weg bahnen“, sondern ist zu verstehen wie klass. ὁδὸν ποιεῖσθαι „reisen, wandern“ (statt medial wird aktiv formuliert, BDR §310 Fn 3; NSS; Guelich 1989, 119), wie in Ri 17,8 LXX. Die Formulierung wird aus stilistischen Gründen meist adverbial übersetzt (unterwegs).
. 24Und die Pharisäer sagten zu ihm: „Schau (siehe), was sie [an] einem Sabbat tun: [etwas], das nicht erlaubt ist! (Warum tun sie [an] einem Sabbat, was nicht erlaubt ist?)“ ▼▼Die Pharisäer werfen den Jüngern in dieser Episode vor, am Sabbat zu arbeiten, indem sie ernten. Das wäre am Sabbat verboten (Ex 20,8-11; Dtn 5,12-16; Ex 34,21). Die Verletzung der Sabbatruhe galt als einer der schlimmsten Verstöße gegen den Sinai-Bund (Watts 2007, 139). Eine so kleinliche Auslegung des Gesetzes war zu Jesu Zeit in frommen jüdischen Kreisen üblich. Nach dem Exil begannen die Juden, sehr detaillierte Auslegungen des Gesetzes zu erarbeiten, mit Detailregeln für jeden Bereich des Lebens. Indem man sich an sie hielt, sollte man ein unabsichtliches Brechen des Gesetzes oder Verunreinigung möglichst ausschließen können. So regelt das etwa in dieser Zeit entstandene sog. „Damaskus-Dokument“: „Niemand darf am Sabbat aus beruflichen Gründen auf dem (bzw. seinem) Feld unterwegs sein.“ (CD 10,20-21, sinngemäß nach einem engl. Zitat). Weiter heißt es: „Niemand darf am Sabbat essen außer dem, was schon zubereitet ist, weiter nichts, das auf den Feldern liegt“ (CD 10,22-23). Dtn 23,25 beschreibt den Unterschied zwischen dem Pflücken der Ähren und dem Ernten: Ersteres war auch in fremden Feldern erlaubt, Letzteres nicht. Andere Texte verbieten zwar auch das Pflücken am Sabbat, es geht dabei aber um gezielte Ernte. Die Jünger bewegen sich daher innerhalb einer umstrittenen Grauzone, denn streng genommen bereiten sie weder essen zu, noch ernten sie in geschäftlichem Ausmaß (Collins 2007, 201f.). Die Pharisäer sehen darin dennoch einen Bruch des Sabbats, während Jesus seine Jünger gewähren lässt, weil das Gesetz für ihn im Sinne des Menschen auszugelegen ist (V. 27).
,
bf 25Aber (und) er erwiderte (sagte) {zu ihnen}: „Habt ihr noch nie gelesen, was David tat, als er in einer Notlage war ([nichts zu essen] hatte) ▼▼in einer Notlage war ([nichts zu essen] hatte) W. »Mangel hatte/litt«. In heutigem Deutsch müssen wir entweder etwas allgemeiner (wie vor der Klammer) oder spezifischer (wie in der Klammer) formulieren. Zu unserer Übersetzung vgl. LUT, ELB, ZÜR, MEN.
und er und die bei ihm Hunger litten (Hunger hatten)? 26Wie er zur Zeit des Hohenpriesters Abjatar ▼▼Abjatar In der herangezogenen Geschichte in 1Sam 21,2-7 ist es nicht Abjatar, sondern dessen Vater Ahimelech, der in Nob die Stiftshütte verwaltet und David aushilft. Erst später (in 1Sam 22,20) tritt Abjatar als dessen einziger überlebender Sohn in Erscheinung, der sich zu David flüchtet, nachdem Saul alle anderen Mitglieder von Ahimelechs Familie im Zorn hat massakrieren lassen. Allerdings war Ahimelech in der Geschichte nicht Hoherpriester, wohl aber später sein Sohn (Collins 2007, 202f.). Die beiden Namen sind schon in 2Sam 8,17 und 1Chr 24,6 vertauscht, was mit dem Bericht bei Markus zusammenhängen könnte. Es gibt verschiedene weitere Erklärungen: 1. Der Name des wichtigeren könnte sich in der Überlieferung der Geschichte von selbst durchgesetzt haben (Collins 2007, 202f.; Guelich 1989, 122). 2. Der Hohepriester Abjatar wird absichtlich erwähnt, entweder weil im Zusammenhang dieser Geschichte auch erzählt wird, wie er Hoherpriester wurde (Jesus benutzt seinen Namen dann als »Stellenangabe« innerhalb 1. Samuel), oder weil er das Ereignis selbst miterlebte und für Davids Legitimation als König später eine wichtige Rolle spielte (Watts 2007, 141). 3. Aus den unterschiedlichen Versionen könnte zu entnehmen sein, dass beide Priester Doppelnamen hatten (vgl. NSS). 4. Möglicherweise hat Markus’ aramäische Quelle Abjatar nur als »großen Priester« o.ä. bezeichnet, woraus Markus auf Griechisch unabsichtlich »Hoherpriester« machte (vgl. France 2002, 146 Fn 52).
in das Haus Gottes ging und die geweihten Brote (Schaubrote, ausgestellten Brote) ▼▼geweihte Brote W. etwa »Brote der Ausstellung« (appositiver Genitiv), also zu Deutsch »die ausgestellten Brote«. Jesus benutzt hier den Begriff aus der LXX für die aus dem AT bekannten »geweihten Brote« oder »Schaubrote« (NSS).
verzehrte, die außer den Priestern niemand essen darf, bj und auch denen, die bei ihm waren, [etwas davon] gab?“ bk 27Und er fügte hinzu (sagte) {zu ihnen}: „Der Sabbat wurde für (um … willen) den Menschen geschaffen (gemacht) und nicht der Mensch für (um … willen) den Sabbat. 28Also (Daher, sodass) ist der Menschensohn (Sohn des Menschen; Mensch) ▼▼Menschensohn Zum Titel s. die Fußnote zu V. 10. Der Titel bezieht sich wie überall im Neuen Testament als Selbstbezeichnung auf Jesus. Es wurde auch für V. 27-28 verschiedentlich vorgeschlagen, dass sowohl »Mensch« (V. 27) als auch »Menschensohn« (V. 28) beide dasselbe aramäische Wort übersetzen. In beiden Versen würde Jesus dann entweder von der Menschheit oder in stilistischer Variation von sich selbst sprechen. Oder die Formulierung »Mensch«/»Menschensohn« ähnelt Ps 8,5, sodass V. 27 vom Menschen, und V. 28 entweder vom Menschen oder von Jesus spricht. Im letzten Fall wäre Jesu Aussage für die Pharisäer nachvollziehbar (so Guelich 1989, 126f.; Collins 2007, 204f.). Doch hätten die christlich denkenden Leser des Evangeliums die Formulierung wohl nicht anders denn als christologischen Titel verstanden – egal wie sie in ihrem ursprünglichen Kontext gemeint war. Es wäre zudem theologisch problematisch, wenn Jesus den von Gott verordneten Sabbat der Willkür des Menschen unterworfen hätte. Und letztlich hätte der Satz nach dieser Deutung lediglich wiederholt, was schon der vorige besagte (Edwards 2002, 96f.). Markus meint daher wohl: Weil Jesus (als der Menschensohn) größere Autorität hat als David, hat er auch die Autorität, den Sabbat zu definieren. Beide sind Gottes Auserwählte, die auf einer von Gott bestimmten Mission sind. So haben jedenfalls Matthäus (12,8) und Lukas (6,5) die Aussage verstanden (France 2002, 147f.; vgl. Collins 2007, 204f.; Edwards 2002, 96f.).
Herr sogar (selbst, auch) [über] den Sabbat ▼▼Herr sogar [über] den Sabbat κύριός Herr mit Genitiv heißt »Herr über« (NSS).
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