‏ Psalms 16

Kapitel 16

Psalm 16 ist ein Bittpsalm eines einzelnen Beters. Doch ist er von einer solchen Erhörungsgewissheit durchdrungen, dass die eigentliche Bitte in V. 1 ganz an den Rand gedrängt wird, stattdessen ist der ganze Psalm vollständig bestimmt von einer Grundstimmung der Hoffnung und des Vertrauens, so dass man ihn gut auch als einen „Vertrauenspsalm“ bezeichnen kann. Die einzelnen Abschnitte sind gut erkennbar:V. 1a ist die Überschrift. Diese Überschriften wurden nachträglich von Redaktoren hinzugefügt; über ihren Sinn weiß man immer noch nichts Genaueres und auch die Bedeutung der einzelnen Vokabeln ist hier wie meist unklar. Doch da es sich um nachträgliche Hinzufügungen handelt, wirkt sich das glücklicherweise nicht allzu nachteilig auf das Verständnis des Psalms im Ganzen aus.In V. 1bc folgt die Bitte, an die sich in Vv. 2-4 direkt ein Bekenntnis anschließt, das Gott wohl auch zum Handeln bewegen soll: Der Beter ist ein Gottgläubiger (V. 2) und führt sein Wohlergehen ganz auf diesen zurück, und er hält sich ganz an die Anhänger dieses Gottes (V. 3). Nicht dagegen hält er sich an die Anhänger anderer Götter (V. 4a) und an diese Götter selbst erst recht nicht (V. 4bc).Aus diesem Grund kann er in den Vv. 5-11 sprechen von den vergangenen, aktuellen und zukünftigen Segnungen durch diesen guten Gott: In Vv. 5-6 nämlich von den Wohltaten, die er ihm schon erwiesen hat, in Vv. 7-8 von seinem aktuellen segensreichen Verhältnis zu Gott und in Vv. 9-11 von den Segnungen, die er von ihm noch erwarten darf.Vv. 5f. werden dabei ganz durchwaltet von der Metapher der Landverlosung. Im Hintergrund steht die in Jos 13 berichtete Verlosung des Landes an die Israeliten, wo es das Schicksal war, das jedem Menschen den (dann je weiterzuvererbenden) Landbesitz zukommen ließ. Ebenso, sagt der Dichter, ist sein Schicksal – Gott.
In einigen Kommentaren wird der Sprecher wegen dieser Verse für einen Leviten gehalten: Die Leviten waren von der in Jos 13 erzählten Landverlosung ausgenommen; ihr „Los war JHWH“ (Num 18,20; Dtn 10,9). Dem scheint aber V. 6 zu widersprechen, wonach der Sprecher offenbar doch Land zugelost bekommen hat. Entweder ist der Dichter also Levit und spricht derart metaphorisch vom segensreichen Gott als „seinem zugelosten Land“, dass selbst V. 6 noch eine Metapher hierfür ist (dass dies möglich wäre, zeigt Dtn 32,9), oder er ist gerade kein Levit und V. 5 spricht mithilfe der Landlosmetapher davon, dass ihm ein segensreiches Leben beschieden wurde, weil JHWH es ihm beschieden hat, und zu diesem segensreichen Leben gehört tatsächlich, V. 6., auch liebliches Land.
Vv. 7f. thematisieren sein Verhältnis zu JHWH. Er will JHWH preisen, denn: Tag und nacht spricht Gott zu seinem Verstand und seinem Herzen (V. 7), und entsprechend hält auch sich unaufhörlich Gott bewusst (V. 8a). Die Folge dieses unaufhörlichen Miteinanders ist klar: Nie wird ihm Schlimmes widerfahren (V. 8b).Diese beiden Verse werden in Vv. 9-11 gespiegelt und in die Zukunft fortgeführt: Er kann sich freuen, denn: Nie wird ihm Schlimmes widerfahren (V. 9b-10) und er wird stets auf dem rechten – nämlich dem von Gott gelehrten – Pfad wandeln (V. 11). Psalm 16,8-11 wird in Apg 2,26-36 und 13,32-39 als Prophetie über das Schicksal Jesu ausgelegt und im Erlass De falsa duorum textum biblicorum interpretatione („Über die falsche Interpretation von Bibeltexten“) von 1933 hat die päpstliche Bibelkommission „bestimmt“, dass dies in der Tat die richtige Bedeutung dieser Verse sei. Vv. 9-10 sprechen nach dieser Auslegung tatsächlich davon, dass Jesus nicht im Reich der Toten bleiben, sondern auferstehen wird. Das ist nicht die nächstliegende Bedeutung dieser Verse – der Glaube an die Auferstehung hatte sich zur Abfassungszeit des Psalms vermutlich noch gar nicht entwickelt –, an sich ist es aber nicht unmöglich, die Verse auch in diese Richtung auszulegen. Mindestens lässt sich gut mit Weiser 1973, S. 119f. sagen: „[Apg 2,26-36 und Apg 13,32-39 stehen auf demselben] Boden, der durch den ganzen Psalm hindurch als die Grundlage des starken Glaubensoptimismus beim Dichter sichtbar geworden ist: Die Lebensgemeinschaft mit Gott. Wo dieses Leben mit Gott den ganzen Menschen erfasst, verliert der Tod praktisch jenes furchtbare Gewicht, das er für den Menschen [...] besitzt. Dies ist der Weg der Überwindung des Todes, den der Psalm beschreitet: Für die Lebensmacht Gottes, an der der Dichter teilhaben darf, ist Tod und Unterwelt kein unüberschreitbares Hindernis mehr, woran jene Lebensgemeinschaft zerbrechen müsste. [...] Gewiß ist V. 10 [ursprünglich] nicht als weisagende Ankündigung der Auferstehung Jesu gemeint, aber der neutestamentliche Auferstehungsglaube und das, was den Psalmisten hier bewegt, stehen auf dem gleichen Grunde, nämlich auf dem unerschütterlichen Glauben an die Lebensmacht Gottes, die in der Auferstehung des Christus den Tod endgültig überwunden hat.“ 1
[Status: Zuverlässig]
''miktam''
miktam - Unbekanntes Wort, das vermutlich als Überschrift die Gattung von Ps 16 und Ps 56-60 angeben soll; daher meist mit dem Platzhalterbegriff „Lied“ übersetzt oder einfach transkribiert; für die LF ist wohl ersteres zu empfehlen.Im Talmudhebräischen bedeutet das Wort „Dokument“, im Neuhebräischen „Epigramm“; LXX hält es für ein ebensolches, in Stein Gehauenes, und übersetzt mit steleographia („Inschrift“, so auch BB und viele Kommentare). In allen drei Fällen wird das Wort aber wohl eher mit miktab („Geschriebenes“) verbunden, das sich als Psalmüberschrift in Jes 38,9 findet (Pietersma 2010, S. 524f.), was man schön an Tg sieht: Dieser hält das Wort wohl für eine Mischbildung aus miktab und tam („aufrecht“) und übersetzt „aufrechte Inschrift“. Ähnlich verfahren auch Aq, Sym, VUL, Raschi und andernorts Tg, zerlegen das Wort in die Bestandteile mk und tm und übersetzen „vom demütigen und aufrechten David“. Dass das Wort unbekannt war, sieht man noch besser an Quinta und Sexta, die bloß transkribieren: machtham. Luther leitet das Wort ab von ketem („Gold“), daher die Üs. „gülden Kleinod“ in den Lutherbibeln. Das „Sühngedicht“ von B-R und Stier2 kommt von einer Ableitung von katam („bedecken“), das auch für das „Sühnen“ von Sünden stehen kann (so z.B. auch Sawyer 2011b, S. 294).
von (für, über, nach Art von ) David. Schütze mich, Gott,denn ich berge mich bei dir (vertraue dir)!

2Ich sage (du sagst)
Textkritik: Vv. 2-4 gehören zu den umstrittensten Versen im Psalmenbuch überhaupt. Teilweise liegt das daran, dass sich hier eine Reihe textkritischer Probleme finden; zu diesen s. den Kommentar / Textkritik Vv. 2-4.Zu Vv. 2-4: Weiterhin sehr erschwert wird das Verständnis dieser Verse durch viele (oben im Text angezeigte oder in den folgenden FNn angegebene) Ambiguitäten, die zusammengenommen dazu führen, dass der Text auf ganz verschiedene Weisen verstanden werden könnte. Hinzu kommt v.a. noch die Problematik, dass das Hebräische keine Anführungs- und Schlusszeichen kennt und daher auch V. 3 oder sogar noch V. 4 als wörtl. Rede vom „ich sage/du sagst“ in V. 2 abhängen könnten; außerdem die Tatsache, dass V. 3b auch als unmarkierter Relativsatz verstanden werden kann. Neben der obigen (z.B. auch von ALB und MEN) gewählten Auflösung hier nur noch die drei häufigsten Alternativauflösungen, die grammatisch auch möglich sind: * [Ich (du) sagt(e) zu JHWH: „...“]. Was die Heiligen (Götter) betrifft, die im Lande sind – diese, (und) die Herrlichen –: Mein ganzes Wohlgefallen richtet sich auf sie. (z.B. LUT17) * [Ich (du) sagt(e) zu JHWH: „...“]. Was die Heiligen (Götter) betrifft, die im Lande sind – diese, (und) die Herrlichen, auf die sich mein ganzes Wohlgefallen richtet: [V. 4]. (z.B. Ridderbos 1972, S. 157) * [Ich (du) sagt(e) zu JHWH: „...“], zu den Heiligen (Götter), die im Land sind – [zu] diesen, (und) den Herrlichen, auf die sich mein ganzes Wohlgefallen richtet: „[V. 4]“ (z.B. Weber 2001, S. 96) Ein letztes und wichtiges Beispiel für eine andere Auflösung, die den Sinn der Verse völlig verändern würde, ist die von Craigie 1983, Franken 1954, Tournay 2001 und der Jerusalemer Bibel (vgl. wichtig auch Mannati 1972), die amart in V. 2a als 2. Pers. verstehen, die „Heiligen“ als Ausdruck für Götter und 2b als gegensätzliche Aussage von 3b: „Ihr sagt zu Jahwe: ‚Mein Herr! / Du bist mein Glück, über dich geht nichts!‘; zu den ‚Heiligen‘, denen, die da auf Erden sind: / ‚Ihr Prächtigen mein! Bei euch ist mein ganzes Gefallen!‘“. Der Psalmist zitierte dann also vorwurfsvoll synkretistische Gegner, die neben JHWH auch noch irdische „Götter“ anbeten. Will man bei der textkritischen Entscheidung zu 2b nicht mitgehen, wäre diese völlig andere Deutung wohl die nächstwahrscheinlichere; will man die „Heiligen“ nicht als Götter verstehen, wieder eine andere mit sehr unterschiedlicher Bedeutung usw. – Vv. 2-4 sind und bleiben sehr unsicher.
zu (über, was ... angeht) JHWH: „Mein ({Mein}) Herr [bist] du!Mein Wohlergehen (Glück) [ist] nicht außer durch dich (nicht über dir?)!“,

3Zu den (über die, was ... angeht) Heiligen,
Heilige + die Herrlichen - Gemeint sind wohl die JHWH-Gläubigen, vgl. Ex 19,6; Dtn 33,3; Dan 7,21.25; Ps 34,10. Dass sie „im Land“ sind, ist nicht irrelevant: Im AT sind klar die Israeliten JHWHs auserwähltes Volk; auf denselben Gedanken wird auch mehrfach in Vv. 5f. angespielt. Dem Psalmisten geht es gut, weil JHWH ihm wohl tut, und er tut dies u.a. auch, weil er ganz Israelit ist, sich in aller Entschiedenheit an die „Heiligen im Land“ hält, Gottes auserwähltes Volk. Diese sind „herrlich“; ein Begriff, mit dem man im Heb. bes. würdige und mächtige Menschen bezeichnet (s. Ri 5,13: Die „Edlen des Volkes“ (//Helden); 2 Chr 23,20: „Die Obersten und die Herrlichen und die Führenden“; Ps 136,18: „herrliche Könige“); und herrlich sind sie wohl im Gegensatz zu „weltlichen Herrlichen“ qua „Heiligkeit“: Sie sind keine irdischen Würdenträger, sondern würdig durch ihr Verhältnis zu Gott: Weil JHWH sie „würdigt“.Sehr verbreitet ist aber auch das Verständnis dieser „herrlichen Heiligen“ als pagane Götter; man orientiert sich dabei an Ps 89,6-8; auch Dtn 33,2f.; Dan 4,5f..10.14f.20; Ijob 5,1; 15,15; Sach 14,5, wo aber meist vom himmlischen Hofstaat JHWHs die Rede ist.Gut Luther: „Aber zu denen will ich mich halten, die heilig und herrlich im Geist sind, wenn auch verachtet vor der Welt un vor jenen. Zu ihnen steht mein Wille, meine Sehnsucht. [...] Heilig ist, wie wir schon früher ausgeführt haben, das, was beiseit getan, verborgen und allein vor Gottes Augen vorhanden ist. Was heutzutage an Häusern, Kleidern und Klerus von den Päpsten heilig genannt wird, ist ein Profan-heiliges, womit man die Leute betrügt. Heilig aber, d.h. durch die Salbung des heiligen Geistes geheiligt, [... ist] überhaupt kein Mensch, außer wenn er durch den Glauben Gott anhangt [...].“ (Luther 1959, S. 213f.).
die im Land (auf der Erde) [sind]: „Diese,
tFN: Diese, - W. übersetzt lauten die einzelnen Bestandteile dieser Zeile: »Zu den Heiligen (Was die Heiligen angeht) die im Land diese und die Herrlichen, ...«. Die meisten Üss. ziehen das »diese« mit der masoretischen Akzentuierung zum ersten Satz und teilen auf: »Die Heiligen, die im Land sind diese« und »und die Herrlichen«. »Diese« wäre dann ein sog. »resumptives Pronomen« (wie in Gen 9,3; Num 9,13; 35,31; Rut 4,15; Pred 4,2), das im Deutschen unübersetzt bleiben könnte. An dieser Satzposition stehen solche resumptiven Pronomen aber nur in negierten Sätzen (s. Gen 17,12; Num 17,5; Dtn 17,15; 20,15; 1 Kön 9,20; vgl. JM §158g). Allenfalls müsste man mit Peels 2000, S. 246 davon ausgehen, dass V. 3 bewusst als Gegen-Satz zu V. 2 formuliert ist und dies zusätzlich damit markiert werden soll, dass hemmah ungrammatisch gesetzt wird; andernfalls ist diese Auflösung nicht möglich – daher entgegen der masoret. Akzentuierung besser wie oben. Das Waw (»und«) vor den »Herrlichen« ist dann keine Konjunktion (»und«), sondern ein Waw explicativum (»Diese, d.h. die Herrlichen«).
die (meine) Herrlichen: Mein ganzes Wohlgefallen [richtet sich] auf sie!“
Man beachte, wie sowohl in der Anrede an Gott als auch in der Anrede an die Heiligen drei Worte auf den Angesprochenen verweisen: Zu JHWH: „Mein Herr bist du, / mein Wohlergehen ist nicht außer durch dich'“; zu den Heiligen: „Diese, die Herrlichen, all mein Wohgefallen richtet sich auf sie.“


4Es sollen (werden) sich vermehren die Schmerzen
Es sollen sich vermehren die Schmerzen - nämlich so, wie Calvin gut erklärt: „Ungläubige, die falschen Göttern Geschenke opfern, verlieren nicht nur, was sie dafür ausgegeben haben, sondern laden auch noch Leid um Leid auf sich, weil es letzten Endes schlimm und ruinös für sie ausgehen wird.“ (Calvin 1845, S. 222)
(Götzenbilder) derer (es vermehren sich ihre Schmerzen die), die einem anderen (die anderen) nacheilen (?, umwerben?),
nacheilen (?, umwerben?) - Textkritisch schwierige Stelle, s. den Kommentar / Textkritik Vv. 2-4. Beide häufig gewählte Alternativen sind problematisch; in die LF sollte es daher am besten unauffällig und freier übertragen werden, z.B. durch „die anderen Göttern huldigen“ (HER05), „die anderen Göttern dienen“ (ALB) o.Ä., denn dies ist hier sicher gemeint.
Nicht werde ich libieren ihre Blutlibationen (ihre Libationen mit [meiner] Hand),
Blutlibationen (zur Alternative s. den Kommentar / Textkritik Vv. 2-4) sind im Alten Orient zwar selten, aber sicher belegt und waren nicht per se schlecht. Gemeint ist eine Opfer-„gattung“, bei der eine Flüssigkeit (häufig: vor einem oder auf einen Altar) als Opfergabe für eine Gottheit ausgegossen wurde. Für das alte Israel vgl. Ex 29,12; Lev 4,7.18.25.30.34; Dtn 12,27; auch Jes 66,3 setzt voraus, dass man auch „gutes“ Blut opfern konnte (z.B. Lammblut), ebenso Heb 10,4.10. Auch die Hethiter kannten Blutopfer: „Vor dem Altar [...] libiert er das Blut [der Schafe]“ (KUB 10, 11, 5-7, apud Liess 2004, S. 149); ebenso die Babylonier, etwa im Etana-Mythos: „Etana flehte täglich zu Schamasch: ‚Du hast verspeist, o Schamasch, das Fett meines Schafs, die Erde trank das Blut meines Lamms! Die Götter habe ich geehrt, die Geister respektiert.‘“ (COS 1.131,131-134).
Nicht werde ich heben ihre Namen auf meine Lippen!
Also nicht einmal ihre Namen aussprechen.


5JHWH [ist] das Teil meiner Zuteilung und meines Bechers,Zieher meines Lossteins (Erhalter meines Loses).
Teil, Zuteilung, Becher, Losstein - Vier Begriffe, von denen jeder für sich schon für das Schicksal eines Menschen stehen kann (zur Becher-metapher s. noch Ps 11,6; Ez 23,31-33; Hab 2,16; Mk 10,38; 14,36; wohl auch Ps 23,5.). Die sehr redundante Fügung „Teil meines Anteils“ findet sich denn auch sonst nicht mehr in der Bibel. Der heb. Text ist sogar noch redundanter als der dt., weil hier einige dt. Worte nur als Suffixe realisiert sind. In Zeile 1 stehen neben „JHWH“ nur drei „schicksalhafte“ Worte: „JHWH Teil meines-Anteils meines-Bechers“; ähnlich Zeile 2: „Zieher meines-Lossteins“. Drei dieser Begriffe („Teil“, „Anteil“ und „Losstein“) stehen häufig außerdem speziell für das Land, dass nach atl. Vorstellung durch das Schicksal jmds Eigen geworden ist (vgl. Jos 13 und Jos 14,2!; z.B. auch Ri 18,1). Dies schwingt auch hier mindestens mit, wie V. 6 deutlich macht (vgl. auch die deutliche Parallele in Dtn 32,9), könnte aber auch rein metaphorisch sein, wie es z.B. NGÜ versteht: „Was du mir für mein Leben geschenkt hast, ist wie ein fruchtbares Stück Land, das mich glücklich macht.“Zieher meines Lossteins ist w. „Halter meines Lossteins“; „der, der meinen Losstein hält“ (mit fast allen Exegeten vokalisiert als tomech statt tomich). Der Losstein hat seinen Platz in der Mantik, also der Disziplin, mit diversen Hilfsmitteln das Schicksal eines Menschen oder den Willen von Göttern zu erfragen – hier also mithilfe von Steinchen. Dass JHWH das Los des Beters „hält“, meint also wohl, dass er es wirft (R-S: „Du wirfst mein Los“) – und dabei sozusagen mogelt, weil durch das Losewerfen ja ohnehin der Wille Gottes herauskommen wird –, dass er also das Geschick des Beters lenkt (ZÜR31: „Du lenkst mein Geschick“) und zugleich „erhält“, was ihm durch dieses Los beschieden wird (Houston/Waltke 2010, S. 331). Schön FENZ: „Du hältst mein Los und wirfst es recht.“


6Schnüre fielen mir auf Liebliches (liebliches [Land]),
Schnüre fielen mir auf Liebliches - Auch V. 6a spricht noch von der Zulosung von Land (s. die vorige FN). Die „Schnüre“ sind die „Messschnüre“; bezeichnet werden also die Grenzen seines ererbten Landes (vgl. Am 7,17): Ihm wurde in der Tat liebliches [Land] beschieden (s. ähnlich noch Ps 78,55; Mi 2,5).
ja, mein Erbbesitz (der Erbbesitz)
tFN: Heb. nachlat, also auf den ersten Blick „der Erbbesitz“. LXX, Syr, VUL aber übersetzen „mein Erbbesitz“. Wie in V. 2 (s. Kommentar / Textkritik Vv. 2-4) also wohl defektive Schreibung von nachlati („mein Erbbesitz“).
dünkt mich schön!
dünkt mich schön - W. „ist schön auf mir“; die Präp. auf wird hier wie oft verwendet, um anzuzeigen, dass etwas von jmdm empfunden wird.
p

7Ich will preisen JHWH, der mich berät,ja, [selbst] in den Nächten belehren (züchtigen) mich meine Nieren.
Nieren - In der atl. Anthropologie ist nicht das Herz Sitz der Emotionen, sondern die Nieren. Das Herz ist stattdessen Sitz des Verstandes. Geistige Qualen sind daher im AT „Nierenschmerzen“ (s. Ijob 19,27; Ps 73,21; Klg 3,13); dass Gott „Herz und Nieren prüft“ (Ps 7,10; 26,2; Jer 11,20; 17,10; 20,12), meint also im Dt., dass er „Herz und Verstand“ eines Menschen unter die Lupe nimmt. Ähnlich hier: Gott berät den Menschen, belehrt ihn also auf Verstandesebene, und selbst noch nachts „züchtigen ihn seine Nieren“, Gott belehrt ihn also z.B. durch Gewissensbisse auf emotionaler Ebene (NGÜ: „Selbst nachts weist mein Gewissen mich zurecht“; EÜ: „Auch mahnt mich mein Herz in der Nacht“).


8Ich setze mir JHWH vor mich beständig;
Ich halte ihn mir also stets bewusst. Gut Saadja: „Und mit Überzeugung halte ich Gott mir stets gegenwärtig und da er so zu meiner Rechten steht, so werde ich gewiss nicht wanken.“
Denn [ist er] zu meiner Rechten, werde ich (ja, [ich setze ihn] zu meiner Rechten, ich werde; weil er zu meiner Rechten ist. Ich werde) nicht wanken.
Das „Wanken“ ist in der biblischen Poesie eine häufige Metapher für eine Gefährdung, aus der direkt Vernichtung und Tod folgt. Wer dagegen „nicht wankt“ ist sicher und geschützt und wird daher ewig bestehen; s. bes. gut Spr 10,30; 12,3; Psalm 46,6f; 62,3.7; 112,6; 125,1.Schön ausgelegt hat diesen Vers auch Maimonides in seinem „Führer der Unschlüssigen“: „‚Lasst nicht zu, dass eure Geister vom Nachdenken über Gott ablassen!‘ Ebenso heißt es auch bei David, wenn er sagt: ‚Ich setze mir JHWH vor mich beständig; denn ist er zu meiner Rechten, werde ich nicht wanken‘, d.h., ich wende mein Denken nicht von Gott ab; er ist wie meine rechte Hand, die ich ja auch nicht auch nur für einen Moment vergesse, nur weil sie sich so einfach bewegen lässt, und aus diesem Grund werde ich nicht wanken, nicht fehlgehen.“ (III 51)



9Darum freut sich mein Herz und jubelt meine Leber (Herrlichkeit),
Textkritik: Leber (Herrlichkeit) - Beide Begriffe waren ursprünglich gleich geschrieben worden. Sehr nah verwandt ist diese Stelle mit Ps 30,13; 57,9; 108,2: An allen vier Stellen wird Gott entweder von der „Leber“ oer von der „Herrlichkeit“ des Beters besungen und die Masoreten haben sich jedes Mal für „Herrlichkeit“ entschieden. Dass es auch im Akkadischen stets entweder das Herz oder eben die „Leber“ ist, die sich freut und jubelt (vgl. Dhorme 1922, S. 509f.), spricht aber stark dafür, dass auch im Heb. md. an diesen vier Stellen „Leber“ zu lesen ist. Das Idiom der „jubelnden Leber“ gibt es auch im Gr. und Lat. nicht; LXX und VUL übersetzen daher sicher v.a. vom Verb geleitet mit „meine Zunge“. So und so würde man aber in die LF mit einer allgemeineren Formulierung übersetzen müssen, etwa „Ich kann aus tiefster Seele jubeln“ (NGÜ), „es jubelt mein Gemüt“ (PAT, R-S); „Drum bin ich voll Freude, mein Innerstes jubelt“ (STAD) o.Ä.
Ja, [selbst] mein Fleisch wird wohnen (ruhen) in Sicherheit.
mein Fleisch wird wohnen in Sicherheit - gemeint ist sehr wahrscheinlich nicht der Zustand des Körpers zwischen Tod und leiblicher Auferstehung nach dem Tode, wie der Vers in der Geschichte seiner Auslegung häufig verstanden worden ist (s. die Anmerkungen), sondern die Zeile bedeutet das selbe wie V. 8b: Ich werde „nicht wanken“, nicht in Gefahr geraten, sondern vielmehr wird im Leben „mein Fleisch“, also ich, „sicher“ sein. Vgl. ähnlich Dtn 33,12.28; Ri 18,7; Ps 4,9; Jer 23,6; 33,16. Besagte alternative Ausdeutung findet sich aber bereits im babylonischen Talmud, wo der Vers daraufhin gedeutet wird, dass der Körper „Davids“ nicht aufgrund von Würmern und Maden verwesen wird (b.B.B. 17a; s. auch den Midrasch: „R. Jizchak hat gesagt: Daraus geht hervor, dass Wurm und Moder über sein Fleisch keine Gewalt gehabt hat.“). Ähnlich auch noch Augustinus: LXX übersetzt statt mit „in Sicherheit“ mit „in Hoffnung“ und Augustinus erklärt: „Mein Fleisch wird nicht zur Zerstörung verderben (=verwesen), sondern in der Hoffnung auf die Auferstehung schlafen.“; ebenso Thomas von Aquin und dann endgültig Bellarmin: „Mein Fleisch schläft im Tode zufrieden und sicher, in gewisser Erwartung einer schnellen Auferstehung“.


10Denn du wirst meine Seele (mich) nicht dem Scheol
Scheol - Der heb. Begriff für das Totenreich, vgl. Jenseitsvorstellungen (AT) (WiBiLex). Nicht zu übersetzen mit „Hölle“; die atl. Vorstellung des Scheols und die christliche Vorstellung der Hölle sind sehr unterschiedlich: Anders als letztere ist erstere kein Ort des Schreckens und der Schmerzen, an den nur Sünder kommen, sondern ähnlich wie der Hades ein Un-Ort des Schweigens und Vergessens, zu dem sämtliche Toten hinabsteigen.
überlassen (im Scheol lassen),Du wirst nicht erlauben, dass
wirst nicht erlauben, dass - W. „wirst nicht geben deinen Frommen zu sehen...“; „X geben zu Y (Inf.)“ ist ein heb. Idiom mit der Bed. „X erlauben zu Y“ oder „zulassen, dass X Y“.
dein Frommer (deine Frommen)
Textkritik: dein Frommer (deine Frommen) - im urspr. Konsonantentext als Plural geschrieben. Die Masoreten zeigen in ihrer Vokalisierung an, dass Singular zu lesen sei, und so übersetzen auch LXX, VUL, Hier, Syr. So daher auch alle Üss; eine seltene Ausnahme ist z.B. Buttenwieser 1938, S. 502: „Thou wilt not suffer thy faithful servants to see the engulfing pit.“
die Grube (die Verwesung)
die Grube (die Verwesung) - Wegen der Auslegungsgeschichte des Psalms (s. die Anmerkungen) wurde oft recht heftig diskutiert, ob das Wort für „Grube“ auch „Verwesung“ bedeuten kann oder nicht. Das kann es, daher übersetzen hier so auch LXX, Tg, VUL, Syr, Hier. Eigentlich läuft aber ohnehin beides auf das selbe hinaus: Im atl. Totenkult wurde ein toter Körper zunächst in ein Gemeinschaftsgrab gelegt und dort verwesen gelassen. Nach der Verwesung sammelte man die Knochen ein und gab sie in eine Grube, in der sich auch die Knochen der bereits verblichenen Familienangehörigen befanden (vgl. z.B. Figueras 1984f., S. 46). Von dieser Grube ist hier wohl ursprünglich die Rede; ob mit „Grube“ oder „Verwesung“ zu übersetzen ist, ist also irrelevant: „Du wirst nicht erlauben, dass dein Frommer verwest / die Knochen deines verwesten Frommen in die Grube gegeben werden“ ist letztlich gleichbedeutend: „Du wirst nicht erlauben, dass dein Frommer stirbt“. Wichtig außerdem: Auch nach dem Tod hatte man nach antiker Vorstellung nicht einen bloßen Körper vor sich; erst im Verlaufe der Verwesung wanderte der Tote hinab in die Scheol (vgl. Leuenberger 2012, S. 327). 10a und 10b bedingen sich damit gegenseitig: Verwest jemand nicht, geht er auch nicht über in den Scheol. Will man auch schon 9b als Ausdruck für den Zustand eines Körpers nach dem Tod lesen, sind sogar 10a und 10b Ausfaltungen dieses Verses: „Mein Fleisch wird sicher wohnen“, also nicht zerstört werden, und das heißt dann zum einen, „du wirst meine Seele nicht dem Scheol überlassen“, und das ist möglich weil „du nicht erlauben wirst, dass dein Frommer verwest“.
sieht.

11Du wirst (sollst) mir kundtun (mich erkennen lassen) den Weg des Lebens (zum Leben):
Weg des Lebens (Weg zum Leben) - gelegentlich interpretiert als „Weg zum Leben“, nämlich aus dem Tode: Die Auferstehung (so schon Kimchi). Gemeint ist mit dem „Weg des Lebens“ aber ursprünglich sicher ein innerweltlicher Weg: Wer auf dem von Gott gewiesenen Weg geht, indem er sich an seine Weisung hält, wird recht und in Sicherheit wandeln und insofern ist dieser Weg dem Tod entgegengesetzt. S. bes. Spr 12,28; auch Spr 2,18f.; 5,5f.; 15,9f.; ähnlich 10,17; Ps 1. Zeilen 2 und 3 schildern dann Charakteristika dieses „Wegs des Lebens“ (richtig Thomas von Aquin: commemorat beneficium, „er erinnert an die Vorteile“; Liess 2004, S. 91: „V. 11a formuliert mit der zentralen Wendung [Weg des Lebens] den Leitgedanken, der in den beiden folgenden Kola entfaltet wird.“); gut daher nur mit Doppelpunkt und ohne „[ist]“ in Zz. 2 und 3 in ZÜR 1931. Schön wieder FENZ: „Den Weg des Lebens zeigst du mir: / zum Fest vor deinem Angesichte, / am Quell der Freuden und der Wonnen, / zu deiner Rechten ohne Ende.“ Die meisten Üss. sehen allerdings Zz. 2.3 als eigenständige Sätze.
[Die] Fülle (Sättigung) der Freuden ([ist]) bei deinem Angesicht, [Die] Lieblichkeiten (Freuden, Annehmlichkeiten) ([sind]) in deiner Rechten allezeit!
Man beachte, wie hier V. 8 wieder aufgegriffen wird: Der Beter hält sich JHWH „beständig vor Augen“ und „hat JHWH zu seiner Rechten“. Dem korrespondieren die „Fülle der Freuden bei JHWHs Angesicht“ und die „Annehmlichkeiten in JHWHs Rechten“.



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