‏ Psalms 22

Kapitel 22

Psalm 22 ist für Christen und Juden ein gleichermaßen zentraler Psalm, weil er im Neuen Testament als das Gebet Christi am Kreuz zitiert und im Midrasch zu den Psalmen und anderen frühjüdischen Schriften als das Gebet der Esther geschildert wird (vgl. dazu Menn 2000, S. 317ff.). Auch sonst gibt es vielfache Bezüge zwischen Psalm 22 und der Passion Christi, vgl. V. 2 mit Mk 15,34 parr., V. 8 mit Mk 15,29 par., V. 9 mit Mk 15,30 parr., V. 17 mit dem johanneischen Gedanken, Jesus sei ans Kreuz genagelt worden und V. 19 mit Mk 15,24 parr. Es handelt sich bei Psalm 22 um einen bittenden „Klagepsalm“ eines von Feinden bedrängten Beters, der sich wegen dieser Bedrängung als von Gott verlassen sieht. Die einzelnen typischen Bestandteile dieser Psalmengattung sind klar erkennbar: V. 1 ist die sog. „Psalmenüberschrift“. Diese Überschriften wurden den Psalmen nachträglich hinzugefügt; über ihren Sinn weiß man immer noch nichts Genaueres und auch die Bedeutung der einzelnen Vokabeln ist hier wie oft unklar. Doch da es sich um nachträgliche Hinzufügungen handelt, wirkt sich das glücklicherweise nicht allzu nachteilig auf das Verstndnis des Psalms im Ganzen aus. Der eigentliche Psalm beginnt in Vv. 2f. mit der dreifachen „Invokation“, mit der der Beter die Aufmerksamkeit Gottes auf sich lenken will (2x „mein Gott“, 1x „meine Gottheit“). Daran schließt sich in Vv. 2-11.13-19 direkt die „Klage“ an, mit der Beter in zwei Durchgängen sein Geschick beklagt. Im ersten liegt der Fokus darauf, dass er sich als von Gott verlassen sieht, im zweiten auf der Bedrängung durch seine Feinde, durch die er vor Panik dem Sterben nahe ist. In Vv. 12.20-22 findet sich die „Bitte“: Gott soll ihn beschützen und sein Leben vor seinen Feinden bewahren. Und in Vv. 23-32 folgt ein sog. „Dankgelübde“: Wenn Gott dieser seiner Bitte nachkommt, wird er dafür Gott vor der versammelten Kultgemeinde preisen und für Gott und die Kultgemeinde ein Dankopfermahl stiften. Ein besonderer Zug findet sich dabei in Vv. 28-32, wo unterstützend hervorgehoben wird, wie sehr auch Gott davon profitieren würde, wenn er dem Beter hilft: Der Bericht von seinem rettenden Handeln wird auch zu den andersgläubigen Völkern dringen und beeindruckt von der Rettungsmacht Gottes werden darauf auch diese sich zu Gott bekehren, so dass Gott dadurch zum „König der ganzen Welt“ und zum „Herrscher über alle Völker“ wird. 1
[Status: Zuverlässig]
''Für den Chorleiter (Dirigenten, Singenden, Musizierenden)''.
Chorleiter - Heb. menatseach; genaue Bedeutung unklar. Die Primärübersetzung „Chorleiter“ ist mehr oder weniger Konvention. S. noch nächste FN.
''Nach „Hirschkuh der Mörgenröte“ ([Vorzutragen vom] Vorsteher [über das Ritual] „Hirschkuh der Morgenröte“).''
Nach „Hirschkuh der Morgenröte“ ([Vorzutragen vom] Vorsteher [über das Ritual] „Hirschkuh der Morgenröte“) - Ein weiterer Begriff mit unbekannter Bedeutung. Für gewöhnlich werden diese und ähnliche Angaben in anderen Psalmen so verstanden, dass damit die Melodie eines bekannten Liedes genannt werde, nach der auch dieser Psalm zu singen sei, zu übersetzen wäre also etwa: „[vorzutragen] nach [der Melodie] ‚Hirschkuh der Morgenröte‘“. Einen wahrscheinlicheren Vorschlag zum Verständnis der sog. „Psalmenüberschriften“ hat 1970 John Sawyer gemacht (s. Sawyer 2011b): In akkadischen Ritualtexten gibt es ähnliche Angaben wie in den Psalmüberschriften; u.a. wird dort häufig spezifiziert, wer den folgenden Text vorzutragen hat und welches Ritual Anlass des jeweiligen Ritualtextes ist. Entsprechend wäre dann in den Psalmen der menatseach nicht der „Chorleiter“ und die „Hirschkuh der Morgenröte“ nicht die Melodie, sondern der menatseach wäre Vorsteher über das Ritual mit dem Namen „Hirschkuh der Morgenröte“, bei dem der Psalm vorzuträgen wäre. Doch ist auch dies nur ein „educated guess“ und „Chorleiter“ und „[nach der Melodie]“ sind in dt. Üss. so etabliert, dass die LF doch besser den Primärüss. folgen sollte.
''Ein Psalm (begleitetes Lied) von (für, über, nach Art von) David''
2Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen, [Warum] [bist du] fern von meiner Rettung (von meinem Schreien),
fern von meiner Rettung (von meinem Schreien) - Eine häufige biblische Metapher: Not wird erfahren als Abwesenheit Gottes; Gott hilft dem Notleidenden nicht, sondern „hat ihn verlassen“ und „hält sich fern“ von ihm - ist gar zu entfernt, um seine Klageworte zu empfangen und helfend darauf zu reagieren (s. ähnlich Ps 10,1; 35,22; 38,22; 71,12; Jes 59,9.11 u.ö.; vgl. z.B. TWAT II, Sp. 770).Textkritik: Die Worte „von meiner Rettung“ (Heb. mischu`ati) werden häufig korrigiert zu „von meinem Schreien“ (Heb. mischaw`ati) (so z.B. BHS; Deissler 1981, S. 102; Kselman 1982, S. 173-5); daher erklärt sich z.B. die Übersetzung „Warum bist du fern von meinem Flehen“ von EÜ und HER05. Doch das ist ganz unnötig. In der LF muss dieser Vers wohl freier übersetzt werden; gut z.B. GN: „Warum hilfst du nicht, wenn ich schreie, warum bist du so fern?“; ähnlich NL.
[von den] den Worten meiner Klage ([warum] [sind] die Worte meiner Klage fern von meiner Rettung; [warum] [bist du] fern von meiner Rettung, [fern von] [meinen] Worten, oh du meine Hilfe)?

3Meine Gottheit, ich rufe Tag - doch du antwortest nicht (erhörst mich nicht) ,
Antworten ist in Zhgg. wie diesem fast stets ein stehender Begriff für die Gebetserhörungen Gottes.
Und Nacht - doch [es gibt] nicht Ruhe für mich.
doch [es gibt] nicht Ruhe für mich - dumijah („Schweigen“) bezieht sich hier wohl nicht auf das „Schweigen“ des Leids, sd. auf das Schweigen des Psalmisten: Im hierigen Sinne findet es sich nur noch in Ps 39,3, wo deutlich vom Verstummen des Psalmisten die Rede ist. S. auch R-S: „Stillschweigen ist mir nicht vergönnt“; Weiser 1959: „und ich kann doch nicht schweigen“ u.ö.Der Vers ist also als „meristisches Hyperbaton“ strukturiert (wie z.B. auch Ps 19,14 (dazu s. FN aq)): Ähnlich, wie deutlich „Ich rufe Tag“ und „und Nacht“ zusammengehören, gehören auch „du antwortest nicht“ und „es gibt keine Ruhe für mich“ zusammen, beide Paare sind aber aus poetischen Gründen in zwei Zeilen aufgeteilt worden. Die Bedeutung ist dann: „Ich rufe Tag und Nacht, aber du antwortest nicht und [also] ist es mir nicht vergönnt, mit dem Rufen aufhören zu können“. Textkritik: Syr und Äth hatten offenbar einen anderslautenden hebräischen Text vor sich, nämlich statt dumijah li („Ruhe für mich“) dimitha li („du denkst nicht an mich“); Zorell 1926, S. 311 und Kissane 1953, S. 98 wollen daher auch den hebräischen Text nach dimitha korrigieren (=> Textkritik). Doch er macht Sinn, wie er steht, und wird von den anderen alten Üss. gestützt.


4[Auf]
[Auf] - W. „Aber du, der Heilige, der du thronst über den Lobgesängen Israels - auf dich vertrauten...“. Ein sog. „Casus pendens“: Ein Satzglied (hier: „du, der Heilige, der du thronst über den Lobgesängen Israels“) wird aus seinem eigentlichen Zusammenhang im Satz herausgenommen, unverbunden vor den Satz gestellt und an seine „eigentliche“ Stelle im Satz wird als Platzhalter ein Pronomen gesetzt (hier: „auf dich“). Gut Eerdmans 1947, S. 172: „And thou, holy one, that inhabitest the praises of Israel, / our fathers trusted in thee.“
dich - den Heiligen,Der du thronst über den Lobgesängen Israels
den Heiligen, der du thronst über den Lobgesängen Israels! - Mit dem Ausdruck der Heilige ist hier wie z.B. auch in Jes 5,16; 5,19 (vgl. V. 20); 41,20 (vgl. V. 21); 48,17 (vgl. V. 18) die übermenschliche Gerechtigkeit Gottes bezeichnet (so gut Herkenne 1936, S. 105), aufgrund der er als „der Heilige Israels“ auch stets auf der Seite seines Volkes steht. Vv. 4-6 sind sehr wahrscheinlich keine Vertrauensäußerung, wie das z.B. Gerstenberger 1991 und Janowski 2003 sehen. V. 7 zeigt deutlich, dass der Hinweis auf die früheren Rettungstaten Gottes der Kontrastierung dient: Ihnen hat Gott geholfen, ihm aber hilft er nicht - ihm, dem „Wurm“. Vv. 4-6 meinen also nicht: „[Warum hilfst du mir nicht?] Aber du bist ja der Heilige, [also wird schon alles gut werden -] du hast ja auch unseren Vorfahren geholfen.“, sondern sie dienen der Unterstreichung der in V. 2 ausgedrückten Verständnislosigkeit: „Warum hilfst du mir nicht? ... Du bist doch der Heilige, der schon unseren Vorfahren, die dich [wie ich] verehrten, geholfen hat!“ Die Argumentation in Vv. 2-6 geht damit ganz ähnlich wie die in Hab 1,12f.: „Bist du nicht von alters her mein Heiliger? Wir werden nicht sterben, JHWH - das hast du, oh Fels, als Gesetz festgesetzt und als Gebot bestimmt (≙ Vv. 4-6)... Warum aber schaust du dann Räubern zu und schweigst, wenn ein Gesetzloser den verschlingt, der gerechter ist als er? (≙ Vv. 2f.)“ Vgl. gut Charney 2013, S. 47; Davis 1992, S. 97; Kissane 1953, S. 99.
(Dabei thronst du doch als der Heilige / über den Lobgesängen Israels; Dabei bist du doch heilig/der Heilige, / thronst über den Lobgesängen Israels) -
5Auf dich vertrauten [doch schon] unsere Vorfahren:
Sie vertrauten - und du hast sie befreit.
6Zu dir schrien sie - und wurden gerettet, Auf dich vertrauten sie - und wurden nicht zuschanden.

7Ich aber bin ein Wurm und kein Mensch (Bin ich etwa ein Wurm und kein Mensch!? / Bin ja der Leute Spott...)Der Leute Spott und verachtet vom Volk.

8Alle, die mich sehen, verhöhnen mich, Reißen die Lippe[n] auf, schütteln den Kopf
Reißen die Lippe[n] auf, schütteln den Kopf - Zwei Gesten der Verachtung. Zur ersten Geste s. noch Ijob 16,10; Ps 35,21; zur zweiten Ps 44,14; 64,8.
[und spotten:]
[und spotten:] - das Folgende ist eine Spottrede der der „Leute“, die dem Psalmisten absprechen, dass Gott Wohlgefallen an ihm habe. Vgl. z.B. Gordis 1949, S. 167f.


9„Wälze (Er hat gewälzt) [es (dich)]
Wälze (Er hat gewälzt) [es (dich)] - Ausdruck dafür, etwas jmds. Fürsorge anzuvertrauen, auf dass der sich darum kümmere; s. Ps 37,5; Spr 16,3; 1 Pet 5,7. Weil »wälzen« im Dt. unverständlich ist, folgen viele der freieren Üs. von Mt 27,43: »Vertrau auf JHWH!« Erwägenswert vielleicht BB: »Soll er doch seine Last auf den HERRN abwälzen!«, ASTADLER: »Der soll seine Sorgen auf Gott abschieben!«Textkritik: LXX, Syr, Hieronymus und Mt 27,43 lasen statt gol (»Wälz«) gal (»Er hat gewälzt«). Der urspr. heb. Text bot beide Deutungsmöglichkeiten; viele Exegeten folgen daher dieser Lesart, weil nach ihr kein Perspektivwechsel (Sprechen zum Psalmisten => Spotten über den Psalmisten) in der Rede der Leute stattfinden muss. Angesichts der beiden obigen atl. Parallelen und Ps 55,23, die alle im Imp. formuliert sind, liegt aber auch hier die Lesung als Imperativ näher (so richtig Gordis 1949, S. 167, FN 21).
auf JHWH! Der wird (soll) ihn retten, Der wird (soll) ihn befreien - er hat ja Gefallen an ihm (er ist ja so gläubig)!“
Er hat ja Gefallen an ihm (er ist ja so gläubig) - stark übersetzt von GN, HfA, R-S: „[Er ist] ja sein Liebling!“ Auch möglich: „Er ist ja so gläubig“, s. z.B. Ps 73,25, wo mit dem „Gefallen“ des Psalmisten an Gott seine Ganzhingabe ausgedrückt wird. Im Kontext macht das vielleicht sogar mehr Sinn, s. den dreimaligen Hinweis auf das „Vertrauen“ der Vorfahren in Vv. 5f. und die Rede vom Gottesverhältnis „von Geburt an“ des Psalmisten. Das ki („doch“) zu Beginn von V. 10 könnte dann mit „Ja!...“, „So ist es!...“ o.Ä. übersetzt werden: In der Tat ist der Psalmist schon von Geburt an tiefgläubig und ergo müsste Gott ihm daher hold sein (vgl. Ps 91,14!); völlig unverständlich ist daher jetzt Gottes plötzliche Abwesenheit. So aber nur wenige ältere Exegeten; erwogen noch z.B. von Olshausen 1853, S. 122f. Vv. 10f. sind daher besser für die LF zu verstehen wie Vv. 4-6: „Früher warst du mir doch gut - [warum also jetzt nicht mehr]?“


10Ach! (So ists!, Denn) Du [warst] es [doch], der mich aus dem Schoß hervorbrechen ließ,
aus dem Schoß hervorbrechen ließ - d.h. der bei meiner Geburt Hebammendienst leistete. V. 10 spricht davon, wie Gott sich schon von Geburt an um den Psalmisten kümmerte, V. 11 davon, wie der Psalmist dafür schon von Geburt an Gott tief verbunden war.
Der mir Vertrauen einflößte (dem ich vertraute)
Textkritik: der mir Vertrauen einflößte (dem ich vertraute - LXX, Syr, VUL, Hieronymus und Tg hatten offenbar statt dem Text mabtichi („der mir Vertrauen einflößte“) mibtachi („der mein Vertrauen [war]“) vorliegen, der auch in einigen Handschriften zu finden ist. Das ist eine sehr starke Bezeugung; warum dem nur Ehrlich 1905, S. 44 und Kissane 1953, S. 98 folgen, ist nicht ganz verständlich. Wir folgen MT nur, weil dies eine starke Mehrheitsmeinung ist.
[schon] an der Brust meiner Mutter.

11Auf dich bin ich geworfen [schon] vom Mutterleib an,
Auf dich bin ich geworfen - Vergleichbarer Ausdruck nur noch in Ps 55,23. Da diese Stelle wiederum stark an Ps 22,9; 37,5 und Spr 16,3 gemahnt, legt sich die Annahme nahe, dass „etwas auf JHWH werfen“ und „etwas auf JHWH wälzen“ gleichbedeutend sind und also bedeuten: „Etwas unter JHWHs Hut stellen.“ Hier aber wird nicht „etwas“ unter JHWHs Hut gestellt, sondern der Psalmist selbst. Sehr gut daher HER05: „Dir bin ich zu Eigen von Anbeginn“; HfA: „Du bist mein Gott, seitdem mein Leben im Mutterleib begann“. Glückliche Fügung übrigens, wie dieser Vers vor dem Hintergrund des Existentialismus gelesen werden kann, wo die „Geworfenheit“ die schutzlose Ausgeliefertheit des Menschen an die Welt meint. Nein, sagt Psalm 22: Von Geburt an ist der Mensch auf Gott geworfen und gerade daher der Welt eben nicht schutzlos ausgeliefert.
[Schon] von meiner Mutter Schoß an bist du mein Gott.

12Sei nicht fern von mir, Denn die Enge (Bedrängnis) [ist] nahe;
Enge (Bedrängnis) ist nahe - dazu s. Ps 4,2 (dazu FN f); 25,17: Not wird in der Bibel des Öfteren mit der Metapher des Beengt-seins ausgedrückt. Hier gleich doppelt: „die Enge ist nahe“ - ganz im Gegensatz zum „fernen“ Gott, der den Psalmisten verlassen hat.
[Denn] kein Beschützer ist da.

13Es umgeben mich mächtige (zahlreiche) Stiere, Gewaltige Baschan[stiere]
Baschan[stiere] - Baschan war eine äußerst fruchtbare Region; die „Baschanstiere“ sind daher hier noch mal als Steigerung der bloßen „Stiere“ erwähnt: als besonders gut genährte und daher besonders gefährliche Vertreter ihrer Art. Vgl. Dtn 32,14 und Ez 39,18, wo die „Baschanstiere“ als besonders nahrhafte Vertreter ihrer Art genannt werden, und Am 4,1, wo sie gar zur Metapher für trinkfreudige Bonzen werden.
umringen mich.

14Es sperren ihr Maul auf gegen michReißende, brüllende Löwen (Sie sperren ihr Maul gegen mich auf / [wie] ein reißender, brüllender Löwe).
reißende, brüllende Löwen ([wie] ein reißender, brüllender Löwe) steht im heb. Text im Sg. Viele denken daher, dass Subjekt des „Maul-Aufsperrens“ die (selbst schon metaphorischen) Baschanstiere wären, die danach noch einmal mit dem Vergleich „[wie] ein Löwe“ näher spezifiziert würden. Wahrscheinlicher ist, dass Löwe hier ein sog. „kollektiver Singular“ mit Pluralbedeutung ist und als ein solcher mit dem Pluralverb „sie sperren ihr Maul gegen mich auf“ konstruiert wird. Das „Maul-aufsperren“ ist hier nicht wie in V. 8 als Spottgeste zu verstehen, sondern wörtlich als Bild für die von den Löwen ausgehende Gefahr.


15Wie Wasser bin ich ausgeschüttet,Und es sind gelöst all meine Gebeine.
Es ist mein Herz wie {das}
{das} (V. 15); {der} [ein] (V. 17) - Vergleiche werden im Heb. häufig auch dort mit best. Artikel konstruiert, wo das Dt. einen unbest. Artikel verwenden würde.
Wachs -Es zerschmilzt in meiner Brust.
Eine Reihe starker Metaphern zur Beschreibung der Not: Aus lauter Furcht verflüssigt sich der Psalmist regelrecht.


16Trocken wie eine [Ton]scherbe ist meine Kraft (Kehle),
Textkritik: Kraft (Kehle) - Sehr viele Exegeten wollen den Text von kochi („meine Kraft“) nach chiki („mein Gaumen, meine Kehle“) korrigieren (z.B. auch BHS), aber vgl. Ijob 30,30; Ps 32,4; 102,4f.; 119,83; Klgl 4,8: das Verbrennen bis zum Ausgetrocknet-sein eines Menschen gehört zu den Standardmetaphern heb. Lyrik zur Beschreibung von Leid, was für die Lyrik eines so heißen Landes wie Israel eigentlich nicht überraschen sollte. Und man beachte, dass in V. 15 zunächst die Flüssigkeit von einem Ganzheitsbegriff („ich“) und dann einem Teilbegriff („mein Herz“) ausgesagt wird; Entsprechendes findet sich hier von der Trockenheit: zunächst der Ganzheitsbegriff („meine Kraft“) und dann der Teilbegriff („meine Zunge“).
Meine Zunge klebt mir am Gaumen.
Zwei weitere Metaphern. Man beachte, dass sie genau das Gegenteilige sagen: Fühlte der Dichter sich in V. 15 noch wie „ausgeschüttetes Wasser“ und sein Herz „zerschmolz“, ist seine Kraft in V. 16 „trocken wie eine Scherbe“ und „seine Zunge klebt ihm am Gaumen“ (W.: „an den beiden Kiefern“). Der Effekt ist der selbe wie im dt. „Vor Panik ist mir heiß und kalt zugleich“.

[Bald] wirst du mich in den Staub des Todes legen
in den Staub des Todes legen - Heb. Idiom für „tot sein“, s. ähnlich Ijob 7,21; 17,16; 20,11; 21,26; Ps 22,30; Jes 26,19; Dan 12,2. Dass hier - anders als in den obigen Stellen - davon die Rede ist, dass JHWH den Beter in den Staub legen können wird, soll unterstreichen, dass es JHWHs Schuld sein wird, wenn er stirbt.
können (Willst du mich in den Staub des Todes legen?).

17Ach!, Es umgeben mich Hunde, Eine Rotte von Übeltätern umzingelt (umkreist) mich.
Aufgegraben sind ([wie] {der} [ein] Löwe, gebunden sind)
Aufgegraben sind ([wie] ein Löwe, gebunden sind) - zu diesen Alternativen s. die nächste FN.
meine Hände und Füße.
18Zählen kann ich all meine Knochen.
Vv. 17-18a: Eine der umstrittensten Stellen in der Bibel überhaupt; hier sind etwas ausführlichere Anmerkungen angebracht. Sie sind dennoch möglichst knapp gehalten; für eine sehr schön verständliche Zfsg. s. z.B. den kürzlich erschienenen Eintrag auf dem Blog Is that in the Bible von Paul Davidson. Das Wort „aufgegraben sind“ findet sich in den verschiedenen Handschriften hauptächlich in zwei Varianten: Als Substantiv ka´ari („wie ein Löwe“) im MT, als Verb ka´ru (s.u.) in anderen Handschriften, u.a. auch in der ältesten existenten Handschrift dieses Verses, XHev/Se4 (für eine Foto der entspr. Stelle s. Hopkin 2005, S. 167). Den Text von MT hatten offenbar auch Tg und Saadja vorliegen; LXX, Sym, Aq, Syr, VUL und Hieronymus dagegen ebenfalls ein Verb. Das ist Schwierigkeit (1). Schwierigkeit (2) ist, dass der Text der Variante ka´ari auf den ersten Blick keinen Sinn macht, gleichzeitig das Wort ka´ru in der zweiten Variante aber nicht zu existieren scheint und wir zu seinem Verständnis auf die alten Übersetzungen angewiesen sind. Schwierigkeit (3) ist dann aber, dass diese das Verb jeweils unterschiedlich verstanden; am wichtigsten: LXX, Syr, VUL: „Sie durchbohrten/gruben auf meine Hände und Füße“; Sym, Aq, Hieronymus: „Sie banden meine Hände und Füße“. Diese textkritische Unsicherheit wird v.a. deshalb so stark diskutiert, weil das „sie durchbohrten meine Hände und Füße“ noch heute sehr häufig als auf Jesus vorausweisender, prophetischer Vers aufgefasst wird. Die Übersetzung „sie durchbohrten/gruben auf“ lässt sich am leichtesten so erklären, dass LXX, Syr und VUL ebenfalls ka´ru vorliegen hatten und dies verstanden als karu mit einem sog. „intrusiven Alef“ (dazu vgl. z.B. Delitzsch 1920 §31; zur Stelle Barré 2004, S. 288) von der Wurzel karah I („graben, bohren“). Die Übersetzung „sie banden“ ist entweder ebenso zu erklären und auf eine sonst in der Bibel nicht verwendete, mit karah I gleichlautende Wurzel karah IV („zusammenbinden“) zurückzuführen (vgl. z.B. KBL3, S. 473; ZLH, S. 350) oder so, dass der ursprüngliche Text nicht ka´ru, sondern ´asru („sie haben gebunden“) gelautet hatte. Dies also sind die ersten drei möglichen Deutungen: * (1) „... wie ein Löwe meine Hände und Füße ...“ - auch durch eine alternative syntaktische Analyse nur schwer erklärlich, für einige Versuche s. aber Alexander 1850, S. 103; Eerdmans 1947, S. 172 nach Ross 1905 und König 1905; Rendsburg 2002b; Swenson 2004, S. 642; Weber 2001, S. 121. * (2) „... sie gruben meine Hände und Füße auf ...“ - so z.B. Gren 2005; Houston/Waltke 2010, S. 393f.; Patterson 2004, S. 223; auch schon Houbigant 1777, S. 14. * (3) „... sie banden meine Hände und Füße ...“ - nach obiger Erklärung (1) z.B. Deissler 1981, S. 103f.; Driver 1946, S. 139; Nõmmik 2014, S. 100; nach Erklärung (2) z.B. Halévy 1893b, S. 292; Vall 1997. Daneben haben einige weitere Vorschläge Schule gemacht und Eingang in dt. Üss. gefunden: * (4) „... meine Hände und Füße sind eingegangen / kurz geworden ...“: ka´ru sei abzuleiten von einer hypothetischen, sonst nicht verwendeten Wurzel karah V („eingehen, kurz werden“); so z.B. Roberts 1973; Kselman 1982, S. 178; zuletzt offenbar Brueggemann/Bellinger 2014. * (5) „... meine Hände und Füße sind aufgebraucht (=erschöpft) ...“: Im ursprünglichen Text habe weder ka´ari noch ka´ru gestanden, sondern ka´lu; so z.B. Craigie 1983, S. 196; Kissane 1953, S. 98.100f. * (6) „... meine Hände und Füße schmerzen ...“: Im ursprünglichen Text habe weder ka´ari noch ka´ru gestanden, sondern ka´abu; so z.B. Weiser 1959, S. 147. Für zwei weitere, zu Unrecht in Vergessenheit geratene Deutungsvorschläge s. Stuart 1852 und Barnes 1936, S. 386. Daneben gibt es weitere, z.T. ganz abwegige Vorschläge. Darüber, dass im ursprünglichen Text ein Verb stand, können wir uns recht sicher sein. Erstens fehlt in 17c nach der Version des MT offensichtlich ein Verb; die alten Ausleger Rashi, Ibn Ezra und Saadja etwa haben aus diesem Grund jeweils ein Verb ergänzen müssen. Zweitens würde nach der Version des MT hier für „Löwe“ eine andere Schreibweise verwendet als in Vv. 14.22, nämlich ´ari statt ´arjeh - was mindestens sehr selten wäre. Drittens werden die Gegner des Psalmisten im Verlauf des Psalms je zweimal mit dem selben Tier verglichen: a: Stiere (V. 13) => b: Löwen (V. 14) => c: Hunde (V. 17) => c': Hunde (V. 21) => b': Löwen (V. 22a) => a': Wildstiere (V. 22b). Stünde in V. 17c tatsächlich „Löwe“, wäre dieser Chiasmus zerstört und nur „Löwe“ würde dreimal genannt. Und viertens ist das Gewicht der Handschriften und vielen Übersetzungen, die hier ein Verb haben, sehr stark. Keines dieser Argumente ist zwingend; zusammen weisen sie aber doch recht deutlich darauf, dass im ursprünglichen Text ein Verb stand.Von den obigen Alternativen ist dann sicher (2) vorzuziehen, da (3) - (6) entweder keinen Rückhalt in den alten Übersetzungen und Handschriften haben oder von einem Wort ausgehen müssen, das sich nicht belegen lässt. Außerdem lässt sich nur nach dieser Variante 18a erklären: Gerade deshalb, weil die Gegner dem Psalmisten „Arme und Beine aufgegraben“ haben, kann er nun „all seine Knochen zählen“ - weil ihm das Fleisch von den Knochen gerissen wurde. Auch dieses Verb lässt sich aber nicht mit „durchbohren“ übersetzen, sondern bedeutet „graben“ und wird meist vom Ausheben eines Brunnen oder eines Grabes verwendet; in diesem Kontext vielleicht am besten „aufreißen“. Sehr überzogen die Üs. von Houston/Waltke 2010, S. 393 („Sie haben Löcher in meine Hände und Füße gebohrt“), die damit spielt, dass man im Dt. und Eng. Brunnen auch „bohren“ kann. Eine eindeutige Parallele zur Kreuzigung Jesu liegt hier also nicht vor. Sie sind aber ja auch so deutlich genug.

Und sie wollen sich weiden, sich an mir ergötzen,
19Sie wollen meine Kleider unter sich aufteilenUnd das Los um mein Gewand werfen!
Das Aufteilen der Kleidung ist wohl eine Anspielung auf eine Hinrichtungsszene, s. Mk 15,24 parr., Sanh 6,3; vgl. Deissler 1981, S. 111. Der Psalmist schwebt in unmittelbarer Todesgefahr.


20Aber du, JHWH, sei nicht fern,
Zu sei nicht fern s.o. FN c.
Meine Hilfe, eile zu meiner Hilfe!
Meine Hilfe, eile zu meiner Hilfe! - Wortspiel: Zwei us. Wörter mit der Bed. „Hilfe“ werden hier verwendet; das erste als Bezeichnung für Gott, das zweite zur Bezeichnung dessen, wozu Gott heraneilen soll. Ein Hilfeschrei in Potenz. Zum ersten Wort (´ejalut), das sich nur hier in der Bibel findet, vgl. das syr. ´ijaluta („Hilfe“). Vgl. auch das verwandte ´ejal in Ps 88,5, das dort auch von LXX, Syr und VUL mit „Hilfe“ übersetzt wird, und auch dazu das syr. Äquivalent (´ijala, „Hilfe“). LXX daher richtig: „meine Hilfe“; VUL kannte es offenbar nicht und übersetzt „meine Stärke“. Letzterem folgen leider die meisten Üss.


21Bewahre vor dem Schwert mein Leben, Vor der Gewalt der Hunde
der Hunde - W. „des Hundes“, kollektiver Sg. mit Pl.-Bed.
mein Einziges!
Einzige - wohl poet. Wechselbegriff für „Leben“, s. ebenso Ps 35,17.


22Rette mich aus dem Rachen der Löwen,
der Löwen - W. „des Löwen“, kollektiver Sg. mit Pl.-Bed.
Vor den Hörnern der Wildstiere mein Elendes (erhöre mich, du erhörst mich/hast mich erhört).
Textkritik: mein Elendes (erhöre mich, du erhörst mich/hast mich erhört) - Laut MT „du erhörst mich/hast mich erhört“. Viele Üss. und Kommentare wollen das ernsthaft so verstehen, dass mitten in der Zeile ein Heilsorakel, ein Heilshandeln Gottes o.Ä. anzusetzen ist und der Beter also mitten in der Zeile aus einer ganz anderen Situation heraus zu reden beginnt: „Rette mich aus dem Rachen der Löwen / und von den Hörnern der Wildstiere! ... Du hast mir geantwortet.“ Das liegt sehr fern. Entweder haben wir hier einen T-Shift (ein sog. „prekatives Qatal“) vor uns und das Verb mit vermeintlicher Vergangenheits-/Präsensbedeutung wird hier aus poet. Gründen wie ein Imperativ verwendet („antworte mir!“, so Buttenwieser 1938, S. 606; Goldingay 2006, S. 335; Houston/Waltke 2010, S. 394; viele Üss.), oder: LXX, Syr, Sym hatten offenbar in dem ihnen vorliegenden Text nicht anithani („du antwortest mir/hast mir geantwortet“) stehen, sondern anijathi („mein Elendes“), einen weiteren poet. Wechselbegriff für „mein Leben“. Vermutlich ist eher dies der ursprüngliche Text, denn das natürlichste Verständnis des MT („Von den Hörnern der Wildstiere hast du mir geantwortet“) wäre das, dass Gott sich auf den Hörnern des Wildstieres befindet und von dort dem Schreien des Psalmisten antwortet. So auch Kissane 1953, S. 98; Spieckermann 1989, S. 241; Terrien 2003, S. 233 u.a., auch EÜ, GRAIL, HER05. Schön WEIN: „Hole mich aus dem Rachen des Löwen, / mich Armen vom Gehörn der Stiere...!“ Fun Fact: Bei den „Wildstieren“ handelt es sich laut LXX um „Einhörner“; in einigen Üss. hat sich das tatsächlich durchgehalten, z.B. TAF: „Von des Einhorns Hörnern antworte mir!“


23Ich will deinen Namen
deinen Namen - Der „Name“ Gottes steht in Kontexten wie diesem fast stets für „Gott im Menschenmund“: Der Psalmist verspricht, Gott vor seinen Glaubensbrüdern zu preisen, wenn er ihm hilft. Der Übergang von der Bitte zum Dankgelübde kommt hier wie oft sehr plötzlich; mitgedacht werden muss: „[Wenn du dies alles tust,] will ich dich vor meinen Brüdern preisen.“ Gut daher MEN, R-S: „Dann will ich deinen Namen meinen Brüdern kundtun“; vielleicht sogar etwas wie die Übersetzungsempfehlung der T4T: „If you save me from them, I will declare to my fellow Israelis...“
meinen Brüdern verkünden, In der Kultgemeinde will ich dich preisen:
Es folgt eine „Probe der Rede, ... welche der Dichter nach V. 23 zum Ruhme JHVHes im Verein seiner Gesinnungsgenossen halten will, wenn er ihn aus seiner Not gerettet hat.“ (Ehrlich 1905, S. 47)


24„Die ihr JHWH fürchtet (verehrt), preist ihn, Alle Nachkommen Jakobs,
Nachkommen Jakobs - Häufiger Wechselbegriff für die »Israeliten«, die Nachfahren ihres Stammvaters Jakob/Israel (vgl. Jakob (WiBiLex)). Der Psalmist verspricht, als Bindeglied zwischen der in Vv. 4-6 berichteten Verehrung der »Vorfahren« und der Verehrung der aktuellen Kultgemeinde, den »Nachkommen Jakobs«, zu fungieren: Schon diese haben Gott verehrt und auch deren Nachkommen will nun der Psalmist zur Verehrung Gottes aufrufen.
ehret ihn, Erschauert
Erschauert, nämlich in Ehrfurcht.
vor ihm, alle Nachkommen Israels,

25Denn er hat nicht verachtet und nicht verabscheut Das Elend des Elenden,
Er hat nicht sein Gesicht vor ihm verborgen,
Er hat nicht sein Gesicht vor ihm verborgen - Die Bedeutung dieser Redewendung ist recht eindeutig: Die Rede vom »Verbergen des Gesichtes« findet sich häufiger in der Bibel und bedeutet wörtlich »nicht hinsehen« (s. z.B. Ex 3,6; Ps 10,11; 51,11); in Bezug auf JHWHs Gesicht ist der Ausdruck dann sprichwörtlich geworden für einen Gnadenentzug JHWHs (s. Dtn 31,17f.20; Ps 13,2; 27,9; 30,8; 44,25; 69,18; 88,15; 102,3; 104,29; 143,7; Jes 8,17; 54,8; 59,2; 64,6; Jer 33,5; Ez 39,23f.29; Mic 3,4): JHWH verbirgt sein Gesicht vor jemandem = JHWH schaut jemanden nicht mehr gnädig an (und lässt so zu, dass Unheil über ihn hereinbricht). Der zur Probe gegebene Lobpreis ist suggestiv formuliert: Gott hat nicht verachtet, nicht verabscheut und nicht sein Gesicht verborgen; erst mit dem vierten Verb folgt eine positive Formulierung. Das macht Sinn: V. 25 ist immer noch Teil des Bittgebets, mit dem der Beter JHWH zur Umkehr bewegen will: Er soll doch bitte aufhören, sein Gesicht vor ihm zu verbergen.
Und als er zu ihm schrie, erhörte er ihn!“

26Von dir [wird sein] mein Lobgesang in großer Kultgemeinde,
Von dir [wird sein] mein Lobgesang in großer Kultgemeinde - d.h. Du wirst mir durch deine Hilfe Anlass zum Lobgesang geben (Driver 1898, S. 58 FN 2). Noch mal wird der Bestechungsversuch deutlich gemacht: JHWH muss helfen, dann wird der Psalmist im Gegenzug besagten Lobgesang anstimmen. Gut übersetzt NGÜ: „Du, Herr, gibst mir Grund dafür, dich zu loben inmitten der großen Gemeinde.“
Meine Gelübde werde ich vor denen erfüllen, die ihn fürchten (verehren):
V. 27c („euer Herz“) zeigt, dass auch V. 27 eine „Probe einer später zu haltenden Rede“ ist; worin also das Gelübde besteht, lässt sich aus V. 27 erschließen: Der Psalmist gelobt ein Todah-Mahl - ein Dankopfermahl, das der Dankende im Vorhof des Tempels für bis zu 200 andere JHWH-Gläubige spendierte. Vgl. z.B. Deissler 1981, S. 116. Gut wieder WEIN: „...und vor den Augen aller, die dich fürchten, / das Opfer bringen, das ich dir gelobt.“ Textkritik: LXX und Syr haben den Text offenbar nicht als „Rede-probe“ verstanden und daher „euer Herz“ geändert nach „ihr Herz“; dem folgen auch einige Üss.


27„Die Elenden
Elende - urspr. Bed. d. Wortes: »elend, arm«; in späteren bib. Texten auch ein terminus technicus für JHWH-Verehrer. Diese beiden Bedd. lassen sich oft nicht völlig trennen; auch hier ist wohl beides gemeint.
sollen essen und satt werden (sollen sich satt essen),Es sollen JHWH preisen, die ihn verehren.
die ihn verehren - W. »die ihn suchen«; in späteren Texten aber terminus technicus für den JHWH-Glauben (vgl. THAT I, Sp. 464: »sich zu Jahwe halten«). Hier auch i.S.v. »danken« (nämlich für die Teilhabe am Mahl), aber es ist auffällig, dass das selbe Verb wie in Vv. 23f. verwendet wird: Der Preis des Beters soll über den »Umweg« des Dankopfermahls an die anderen JHWH-Verehrer »überschwappen«.

Aufleben soll euer Herz für immer!“
Aufleben soll euer Herz für immer scheint eine Art „Banquet-Toast“ (Gordis 1949, S. 171) gewesen zu sein. Die ersten beiden Zeilen sind offen in die Runde gesprochen - wohl einleitend vor Beginn des Todah-Mahls, um das „Ziel“ des Mahl zum Ausdruck zu bringen -, die letzte Zeile als Toast zur Eröffnung des Mahls selbst.


28Es werden (sollen) [davon]
[davon] - schwierige Stelle; der Zusammenhang von Vv. 28-32 mit vorigen Teil des Psalms ist nicht leicht zu erkennen. Häufig hält man diese Verse daher für eine spätere Hinzufügung. Wahrscheinlich lassen sie sich aber auch so erklären: So, wie der Psalmist laut Vv. 23-25 den JHWH-gläubigen Israeliten von JHWHs Heilshandeln berichtet hat, wird dieser Bericht auch an die andersgläubigen Nationen dringen und beeindruckt von Gottes Macht werden sie sich zu JHWH bekehren. S. zum Gedanken z.B. Ps 51,15f. und vgl. gut Kissane 1953, S. 102.
berichten und (Sie werden [davon] berichten und dann werden) zu JHWH umkehren Alle Enden der Erde
Alle Enden der Erde = „die ganze Welt“.

Und vor dir (vor ihm)
Textkritik: vor dir (vor ihm) - „vor dir“ nach MT; vor ihm nach einigen Handschriften, LXX, Syr, Hieronymus. Häufig wird daher in Kommentaren und Üss. davon ausgegangen, dass Letzteres die ursprüngliche Version war, und der Text zu „vor ihm“ geändert. Wohl unnötig; der unvermittelte Wechsel von einer Person zur anderen ist in der bib. Poesie ein häufiges Stilmittel („P-Shift“); die Üs. von LXX, Syr und Hieronymus lassen sich auch damit erklären, dass sie das erkannt und idiomatscher in ihre Sprachen übertragen haben.
werden (sollen) sich niederwerfen Alle Sippen der Völker [mit den Worten:]
[mit den Worten] - Auch V. 29 ist wahrscheinlich ein Zitat; hier das Zitat von „allen Sippen der Völker“, die damit Gott als rechtmäßigen Herrscher über die Völker anerkennen. Das ki („Ja!“, „denn“) ist dann wohl ein sog. „ki recitativum“ und dient genau dem Zweck, das folgende als wörtliche Rede zu markieren.


29{Ja!} (Ja!, Denn) JHWHs [ist (das)] das KönigtumUnd er [ist (sei)] Herrscher über die Völker.“

30Ja, vor ihm werden sich niederwerfen (Es aßen und warfen sich nieder)
Textkritik: Die alternative Üs. ist die wörtliche Üs. des MT, der offensichtlich keinen Sinn macht. Beinahe allgemein anerkannt ist daher die Textkorrektur von ´aklu wajischtachawu („Es aßen und warfen sich nieder“; Konsonanten: ´klw wjschtchw) zu ´ak lo jischtachawu („Ja, vor ihm warfen sich nieder“; Konsonanten: ´k lw jschtchw). Für eine noch schonendere Textkorrektur s. die übernächste FN.
alle Fetten der Erde,Vor seinem Gesicht
seinem Gesicht - d.h. „vor ihm“.
sich alle beugen, die in den Staub sinken.
Und [wer] seine Seele nicht am Leben erhalten konnte,
31[bei dem] werden [seine] Nachkommen ihm dienen.
Vv. 30f. - Wir folgen hier der Deutung von Keel-Leu 1970, der auch Kselman 1982, S. 189 und Davis 1992, S. 101, FN 2 folgen: Laut mehrfachem Zeugnis der Bibel können Gestorbene JHWH gar nicht preisen (s. Ps 6,6; 30,10; 88,11f.; 115,17; Jes 38,18; Sir 17,22f.). Vv. 30c darf daher nicht zu 30b gezogen werden („Es werden sich verbeugen alle Fetten der Erde vor seinem Gesicht / und der, der seine Seele nicht am Leben erhalten konnte.“), sondern muss als Nebensatz von V. 31a gedeutet werden: „[Von dem,] der seine Seele nicht am Leben erhalten konnte, / werden [seine] Nachkommen ihm dienen“. Die „Fetten“, die, die „in den Staub sinken“ (dazu s.o. FN v) und die, die „ihre Seele nicht am Leben erhalten konnten“ bilden einen dreifachen Merismus, mit dem die Gesamtheit der andersgläubigen Völker bezeichnet werden: Die „Fetten“ sind dabei die Gesunden und Reichen unter ihnen (sicher in Abgrenzung von den „elenden“ Israeliten in V. 27); die, die „in den Staub sinken“ die Sterbenden und die, die „ihre Seele nicht am Leben erhalten konnten“ die bereits Gestorbenen. Sogar sie werden über den „Umweg“ ihrer Nachfahren in die allgemeine JHWH-Verehrung eingegliedert. tFN: Diese Deutung ist übrigens vielleicht auch mit einer noch schonenderen Textkorrektur als der in 30a möglich: Das Wayyiqtol wajischtachawu ist umzupunktieren zum Weyiqtol wejischtachawu; das we fungiert dabei als „Waw apodoseos“. ´aklu ist ein independenter asyndetischer Relativsatz wie z.B. auch in Jes 41,24, dann: Wer aß, wird sich niederwerfen, (gemeint sind die zum Mahl geladenen Armen aus V. 27) : Alle Fetten der Erde (sc. die Reichen) werden sich vor seinem Gesicht verbeugen; Und von allen, die hinabgestiegen sind in den Staub - : Von dem, der seine Seele nicht am Leben erhalten konnte - : Werden [seine] Nachkommen ihm dienen.

Erzählen wird man vom Herrn der Generation,
die noch kommen wird
Textkritik: W. „sie werden kommen“; das Wort gehört wie in der LXX noch zum letzten Vers („der Generation, [die noch kommen wird]“); so fast alle Exegeten; eine neuere Ausnahme z.B. Houston/Waltke 2010, S. 396.
Und verkünden seine Gerechtigkeit dem Volk, das noch geboren wird:
„Er hat gehandelt (hat [es] vollbracht)!“
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