Titus 1
Text: Titus 1,1-4 Der Brief Pauli an Titus Einleitung Dieser Brief hat viel Ähnliches dem Inhalt und der Absicht nach mit dem ersten Brief an Timotheus. Nämlich, war auch dem Titus Anweisung zu geben, wie er sich bei Einrichtung der Gemeinde zu Kreta verhalten, und auf was er bei Bestellung rechtschaffener Bischöfe und Ältesten sehen solle; zugleich aber doch auch die nötigsten Lehren, welche Titus zu treiben hatte, mit seinem apostolische Ansehen zu unterstützen, und ihnen damit bei Leuten von allen Ständen mehreren Eingang zu verschaffen. Mithin freilich auch dem Titus Herz und Hand zu stärken, daß er desto unverbrüchlicher darüber hielte. Titus selbst war seiner Geburt und Abkunft nach ein Heide oder Grieche (Gal. 2, 3). Weil seiner in dem zweiten Brief an die Korinther so häufig gedacht wird, sind Einige auf den Gedanken geraten, er sei von Korinth gebürtig. Von seiner Bekehrung zum Christentum geschieht nirgends ausdrückliche Meldung. Vermutlich aber ist sie durch den Dienst Pauli geschehen, der Titus deswegen seinen rechtschaffenen Sohn nennt (V. 4). Wenn er ihn aber auch nicht gezeugt hätte durch das Wort der Wahrheit, so hat er sich doch wenigstens seiner zu seiner Auferziehung und festem Stand im Evangelio nachdrücklich angenommen, und gegen die andringenden Forderungen, daß er sich sollte beschneiden lassen, ihn verteidigt und verhütet, daß nicht daraus zur Beschwerde und Nachteil anderer Bekehrten aus dem Heidentum die Notwendigkeit der Beschneidung gefolgert würde. Als einen Gehilfen und Mitarbeiter am Evangelio hat der Apostel Titum fleißig gebraucht; z. B. ihn gen Korinth verschickt, und ihn dorther bald wieder erwartet (2.Kor. 2, 13); über welchen Verzug er aber durch die Ankunft Titi in Macedonien, und durch die - von Korinth mitgebrachten guten Nachrichten reichlich getröstet worden ist (2.Kor. 7, 6 f. und 13 f.). Bei solchem in Korinth gewonnen guten Vertrauen und Eingang hält ihn auch der Apostel für besonders tauglich zu Veranstaltung einer Almosensteuer (2.Kor. 8, 16 + 23), und läßt die Korinther selbst dabei den Ausspruch tun, ob nicht Titus in einem Geist und einerlei Fußstapfen mit ihm gewandelt habe (2.Kor. 12, 18)? Wann Paulus nach Kreta gekommen sei, und daselbst das Evangelium gepredigt, Titum aber zu weiterer Fortsetzung des gemachten guten Anfangs zurückgelassen habe, davon kommt unter den Verrichtungen Pauli in der Apostelgeschichte keine deutliche Meldung vor. Wahrscheinlich mag Pauli Aufenthalt in Kreta zu den drei Monaten gehören, die er in Griechenland zubrachte (Apg. 20, 2), und den Brief an Titum muß er bald darauf in Macedonien geschrieben haben (Apg. 20, 3). Die alte Unterschrift gibt Nicopolis an für den Ort, woher der Brief geschrieben sei, vermutlich aus Veranlassung der Stelle Kap. 3, 12. Er könnte aber auch früher und anderwärts her geschrieben worden sein, Paulus aber Nicopolis für den bequemsten Ort ihrer Zusammenkunft gehalten haben. Ob sie nach selbigem Vorhaben zu Nicopolis zusammengekommen seien, oder nicht? Davon haben wir in der Schriftgeschichte keine deutliche Anzeige. Das Letzte was wir wissen ist, das Titus auch noch etwas von Pauli letzter Kraft genossen habe, seines Berufs halben aber nach Dalmatien gezogen sei (2.Tim. 4, 10). Von dem, was Titus weiter im Dienst des HErrn ausgerichtet, und wie er seinen Lauf vollendet habe, findet man keine sichere Nachricht. Wir wollen die Glaubens = Fußstapfen, in die ihn der Apostel auch durch diesen Brief hineingewiesen hat, fleißig aufsuchen, herzlich lieb gewinnen, treulich darin wandeln. So werden wir mit Wonne dabei sein, wenn der HErr JEsus auch an diesem Heiligen und Gläubigen sich verherrlichen und bewundern lassen wird. Zur Einteilung des Briefs mag man sich folgendes merken. Er hat eine aus vollem Herzen geflossene Aufschrift (Kap. 1, 1-4) Lehrreichen Inhalt (Kap. 1, 5- Kap. 3, 11) Schließliche Ermahnungen und Bestellungen (Kap. 3, 12 -15) Text: Titus 1,1-4 Aufschrift, wie sie sich auf Pauli Person und Titi Amt besonders reimt, und aus einem solchen vollen Herzen geflossen ist, das gleich zu Anfang Alles anbringen wollte, was in der gegenwärtigen Wahrheit zu stärken, und das eindringende Versuchliche abzuschneiden vermögend wäre. Was man aus so vollem Herzen schreibt, dabei behält man gemeiniglich einige Gedanken zurück, die man nicht in völligen Ausdruck bringt, die sich aber leicht aus dem Zusammenhang ergänzen lassen. So viel sieht man bald, daß der Apostel mit dieser Aufschrift dem Titus einen tiefen Eindruck machen wollte, daß man bei einem solchen Amt nicht auf das Vergebliche laufen, sondern wissen müße, was einem von GOtt anvertraut sei. worin man seinen Willen zu dienen, was man auszurichten, wie man sich auch in der Wahl der Mittel nach dieser Absicht zu richten mit welcher Hoffnung man seine lässigen Hände zu stärken, wie man das Eigene, das Einem zu seiner Zeit aufgegeben ist, immer im Zusammenhang mit dem ganzen Werk GOttes der vorigen Zeiten anzusehen und zu behandeln habe. Das Nähere wird sich aus der nachmaligen Ansicht der Worte ergeben. "Paulus Tito, meinem rechtschaffenen Sohn," so hängt es allernächst zusammen; was dazwischen steht, ist aus der Fülle des Herzens geflossen, die gleich anfangs alles Das in Titi Herz pflanzen wollte, was ihm nötig, und wozu ihm Pauli Vorgang erwecklich war. Mit jener zitternden Frage: HErr was willst Du, daß ich tun soll? (Apg. 6, 9), hat sich Paulus zum Knecht GOttes angeboten. Seitdem hat er sich nimmer entzogen, sondern GOtt mit aller Demut, und mit viel Tränen und Anfechtungen gedient (Apg. 20, 19) und sich in allen Dingen als Diener GOttes bewiesen (2.Kor. 6, 4), aber dafür auch in den größten Nöten den Trost genossen: GOtt, deß ich bin, und dem ich diene (Apg. 27, 23). Damit kann man seine Seele setzen und stillen: du bist ein Knecht GOttes; was du bist, wo du bist, bist du nach dem Willen GOttes. GOtt setzt uns freilich bei unserem Dienst am Evangelio in keinen Paradies = Garten, sondern in eine Wüste. Aus einer Welt heraus Ihm Auserwählte zu berufen und zu sammeln, ist unsere Sache. Kreta, wo Titus angestellt war, hatte auch von Alters her kein gutes Lob. Doch war auch daselbst für den Willen GOttes etwas Gutes auszurichten. Doch weil man auch in anderen Ständen ein Knecht GOttes sein, und dessen Willen dienen kann, so bestimmt es Paulus noch näher dadurch: Aber ein Apostel JEsu Christi: denn zum Evangelium Christi war er ausgesondert (Röm. 1, 1), zwar nicht so früh, wie jene Zwölfe, die der HErr erwählte, aber so geschäftig und gesegnet als Jene (Apg. 22, 15 und 26, 16). An diesem seinem Apostelamt war die Hauptsache, den Gehorsam des Glaubens aufzurichten, aber so, daß der Glaube freilich nicht Jedernmanns Ding ward, sondern durch die Predigt vom Glauben GOtt eine Auswahl zugerichtet ward. Das gründet einen verständigen Eifer und Treue im Amt, wobei man mit einfältigem Auge nicht mehr, und bei fleißiger Hand nicht weniger sucht, als GOtt Jedem zugemessen hat. Es ist eine der scheinbarsten Versuchungen auch in der heutigen Zeit; so geschäftig zu werden, und dem Christentum eine Gestalt zu geben, wobei der Glaube Jedermanns Ding werden könnte. Aber man sehe zu, ob nicht das dahinterstecke, daß man sich mit den Auserwählten GOttes, das ist, mit dem Schwachen, Verachteten, Unedlen, das GOtt erwählt, nicht gedulden mag, sondern es für ansehnlicher hielte, wenn auch Weise, Edle, Gewaltige dem Glauben zufielen. Nun wenn sich auch solche die Erkenntnis der Wahrheit zur Gottseligkeit gefallen ließen, so stünde ihnen der Zugang zur Gnade auch offen; aber ihnen zu gefallen kann man an dieser nichts beschneiden. Was im Wort und Antrag GOttes Wahrheit ist, das muß auch im Herzen und Gewissen der Gläubigen Wahrheit werden. Das aber gönnt uns GOtt gern zu einer Stütze, wie bei aller Arbeit, so besonders bei dem Dienst an seinem Evangelio, daß wir daran auf Hoffnung des ewigen Lebens arbeiten. Man schwäche sich nur nicht selbst diese Hoffnung durch einen begierigen Griff nach dem Sichtbaren und Zeitlichen. O Gottlob für ein Amt, das es bei mir selbst, und durch mich auch bei Anderen meist mit der Hoffnung des ewigen Lebens zu tun hat. War es doch das Erste, daß, GOtt mit seinem Verheißungs = Wort wieder ein Leben der Hoffnung in den Herzen unserer ersten Eltern angeblasen hat. Welch eine Würde unseres Amts aber ist es, daß uns nun die Predigt anvertraut ist, darin Leben und unvergängliches Wesen geoffenbart oder an das Licht gebracht ist. - Die Ansprache: "Tito meinem rechtschaffenen Sohn," war für Titus eine schöne Empfehlung; dem Paulus aber war es eine innige Freude, ein Kind so sehen in der Wahrheit wandeln, das belohnte die nach Gal. 2, 3-5 auf ihn verwendete Arbeit reichlich. Auch über den Glauben, der durch das Evangelium erzeugten Kinder sind wir nicht Herren, sondern Gehilfen der Freude über den gemeinschaftlichen Glauben. Gnade, Barmherzigkeit und Friede widerfährt Jedem bei dem Glauben an das Evangelium; aber Erneuerung, Vermehrung und Bewahrung bedürfen wir täglich, damit wir aus solchem gelinden Grund auch wieder mit Anderen handeln, und Gnade, Barmherzigkeit und Friede überall das Regiment habe. GOtt lehre uns bedenken, was an der Predigt und dem Hören des Evangeliums gelegen ist! Ach verleihe Gnade, daß aus demselben überall das schöne Kleeblatt, Erkenntnis der Wahrheit, Gottseligkeit und Hoffnung des ewigen Lebens aufkomme! Amen. Text: Titus 1,5-9 Der Apostel stellt dem Titus vor, was er als sein Hauptgeschäft in Kreta ansehen, und welche Eigenschaften bei der Wahl der Ältesten und Bischöfe hauptsächlich in Betracht kommen sollen. Kreta ist eine berühmte Insel, die heutigen Tages Candia heißt, im mittelländischen Meere liegt, meist unter türkischem Gebiet steht, sonst aber von katholischen und griechischen Christen bewohnt wird. Der Apostel muß selbst da gewesen sein, aber noch manche nötige Einrichtung dem Titus überlassen haben. Wird doch unseres lieben Heilands Amtslauf und Arbeit nur für einen Anfang gerechnet (Apg. 1, 1). Der Apostel Auftrag war nicht, den Gemeinden ohne ihr Wissen und Willen Älteste, Vorsteher, Lehrer und Bischöfe aufzudringen, sondern sich nach tüchtigen Gemeindegliedern umzusehen, und wo ihnen solche kund wurden, sie mit Gebet und Händeauflegen zu solchem Geschäft auszusondern. Außer dem schon mündlich gegebenen Auftrag legitimiert er ihn hiermit auch schriftlich dazu, damit, wenn er Widerstand finden, oder sich Untaugliche eindringen sollten, er sich desto nachträglicher auf des Apostels schriftliche Verordnung berufen könnte. Von seinem vorigen Leben her, wenigstens von der Zeit an, da ihm Barmherzigkeit widerfahren war, sollte ein Bischof keinen Vorwurf wider sich haben, dadurch Andere vom nötigen Vertrauen abgehalten werden. Nach Christi Sinn soll eheliche Verbindung nur zwischen einem Mann und einem Weib statt haben, und wer untadelig sein sollte, der konnte nur in einer solchen rechtmäßigen Ehe leben. Gläubige Kinder zu haben, hat freilich Niemand in seiner Gewalt. Doch, wer das demütig erkennt, dem gibt GOtt am ehesten Gnade dazu. Der Kinder Unordnungen bringen auf den Vater den Verdacht, daß er es durch Liebe und Ernst nicht zu verhüten gewußt habe. - Die Welt und zuweilen auch das nach Weltart eingerichtete Kirchenregiment möchte es mit Hirten und Lehrern so herunterbringen, daß sie kaum noch einem Hauspoßler gleichsähen, und nicht das Geringste von Haushalters Rechten mehr übrig behielten. GOtt weiß aber seine Knechte durch den Geist der Kraft, der Liebe und der Zucht immer wieder so aufzurichten, daß sie zu ihrem Haushaltersgeschäft nicht untüchtig werden. - Nicht eigensinnig, sondern gastfrei; es ist also ein solcher Eigensinn gemeint, dabei man nur das Seine sucht, und Andere in ihrem guten Werk zu fördern gar keinen Bedacht nimmt. - Nicht zornig, sondern gütig, demütig, sanftmütig; nicht ein Weinsäufer, sondern züchtig, nüchtern; nicht pochen, nicht dreinschlagen, sondern gerecht, der seinen Nächsten, auch seine Untergebenen für das gelten läßt, was sie sind, und Niemand mit Gewalt zu unterdrücken gemeint ist; nicht schändlichen Gewinn suchen, sondern heilig, keusch, GOttes Namen nicht um eine Hand voll Gersten entheiligt (Ez. 13, 19), mäßig, sich von allen zu weit greifenden Begierden enthalten, auch sein Amt nicht zum Vorwand eines Gewinns mißbrauchen; die Schrift inne haben, und zu Allem gebrauchen können, wozu sie nutz ist (2.Tim. 3, 16), und darüber eine im guten Gewissen von GOtt empfangene Macht erweisen (Matth. 7, 29). Text: Titus 1,10-16 An dem Lehrstand ein rechtmäßiges Salz zu haben, soll man um so mehr bedacht sein, je allgemeiner das Verderben in anderen Ständen wird, um so viel GOtt noch Vermögen, demselbigen zu steuern, darreicht, damit soll man nach jedesmaliger Notdurft einander dienen. Da muß man nicht denken: was geht es uns an, wie die Leute zu Kreta gewesen, und was Paulus und Titus mit ihnen ausgestanden haben; sondern man muß rechnen, daß so Manches von der auch damals drückenden Kirchennot uns zur Lehre geschrieben sei, damit wir auch durch dies Geduld = und Trostwort der Schrift Hoffnung haben. Dem Wort, das gewiß ist und lehren kann, kann man von Herzen gehorsam werden, und sich darauf verlassen. Diese Schwätzer aber mit ihren eitlen und verführerischen Reden geben weder Grund im Gegenwärtigen noch Zuversicht auf das Künftige. Aber eben ihr freches Maul, auf das sich diese Schwätzer verlassen, muß man ihnen stopfen, oder sie zum Stillschweigen bringen, und sie vor Anderer Gewissen aus der ungebührlichen Achtung setzen. Das kann bei von GOtt verliehenem Mund und Weisheit, oft ein einiges Wörtlein ausrichten (Luk. 21, 15). Mehr untaugliches Zeug wird durch Gespräch, Bücherlesen unter die Menschen gebracht, als durch Lehren von den Lehrstühlen herunter. Wenn man den Menschen Lust macht, am Kreuz Christi vorbei zu kommen; wenn man ihnen zu einer eitlen Anmaßung von Erkenntnis GOttes aufhilft, die sie mit den Werken verleugnen, so kann man ihnen damit abschwätzen, was man will. Auch unter die Zeit der Unwissenheit hinein, da GOtt die Heiden ihre eigenen Wege gehen ließ, hat Er doch je und je durch ihre Weltweisen oder Poeten einen Strahl von Seiner auf den Gassen rufenden Weisheit verliehen, der freilich die Finsternis nicht erleuchten, aber doch achtsamen Gemütern einen Dienst tun konnte. Jetzt setzt man bei Verblendung der Sinne gegen das helle Licht des Evangeliums das erschienene wahrhaftige Licht hintan, erhebt dafür die alten Poeten und Schriftsteller, und fängt wieder an, in diesen seine Weisheit zu suchen. Wer bedenkt, wie Jesajas sich nicht nur über seine eigenen unreinen Lippen, sondern auch über sein Wohnen unter einem Volk von unreinen Lippen demütigt (Jes. 5, 4), der wird nicht gleichgültig über dem sein, was sich auch nur aus der allgemeinen Gewohnheit an einen dringen kann. Einer, der mit Lachen, der mit einer Tinktur vom Weltgeist die Wahrheit sagen will, der darf es der Welt noch so scharf sagen, als den Kretern einer ihrer Poeten. Wenn aber ein Paulus mit Weinen von Feinden des Kreuzes Christi und ihrem Wandel sagt, da nimmt man jeden Ausdruck übel. Die draußen sind, hatte Titus nicht gerade anzugreifen, aber um ihretwillen, und um des durch sie ausgebreiteten Lügen = Geistes willen, mußte er denen, die dem Glauben gehorsam geworden waren, desto schärfer sein, damit sie nicht an diesem ihrem National = Fehler gehalten, und wieder in das ewige Verderben eingeflochten würden, sondern bei der gesunden Lehre der heilsamen Worte auch zu einem gesunden Glauben gelangten. Darin hat es die heutige Welt weit gebracht, daß sie sich das scharfe Strafen so vom Hals geschoben, und dafür auch bei den Dienern der Kirche den Ruhm der Klugheit und der Moderation auf den Thron gesetzt hat. Nehmen kann sich freilich Keiner nichts, aber erbeten; mit Fordern an Anderen, und Verschieben der Schuld auf sie ist auch nicht geholfen, aber gemeinschaftlich darüber ringen. Der GOtt dieser Welt richtet sich an jedem Ort und bei jedem einzelnen Menschen in den Verblendungen, womit er ihm zusetzen will, nach seinen vorherigen Neigungen. Weil nun in Kreta vorher viel heidnisches Fabelwerk herrschte, und der Hang der Gemüter auf das Faule und Weichliche ging, so suchte er dem gesunden Glauben durch jüdische Fabeln Abbruch zutun. Das schien etwas Neues, und unterhielt doch die vorige Neigung des alten Menschen; es sollte etwas getan heißen durch Menschengebot, und vor GOtt und im Zugang zu Ihm kam doch keine wahrhaftige Förderung heraus. - Der Ausspruch des Apostels: den Reinen ist Alles rein, gehört unter die Worte der Schrift, die von langer Zeit her in großen Mißbrauch gezogen worden sind. Der eigentliche Sitz der Reinigkeit ist das Herz (Apg. 15, 9). Das wird durch den aus dem Evangelio gewonnen Glauben gereinigt, und in eine lautere Begierde, GOtt zu dienen, GOtt zu gefallen, gesetzt. Bei einem solchen Sinn nun ist einem Alles rein.: d. i. wenn er keinen Unterschied der Speisen hält, sich an keinen Unterschied der Tage mehr bindet, oder was ihm sonst aufgebürdet werden will; so schadet es ihm nichts, es schmälert ihm den Genuß der Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist nicht. Wenn einer aber auch aus irgend einer eigenen Überzeugung oder aus Achtung für Andere dergleichen Unterschied beobachten wollte, so kann er es auch mit reinem Herzen dem HErrn tun, ohne sich mit einer dahinter gesuchten Aufrichtung einer eigenen Gerechtigkeit zu beflecken (Röm. 14, 5-6). Unreinen und Ungläubigen aber, die der Gerechtigkeit GOttes nicht im Glauben untertan geworden, also immer im unreinen Aufrichten ihrer eigenen Gerechtigkeit begriffen sind, und dabei oft niederträchtige Absichten auf schändlichen Gewinn, und anderes Futter für das Fleisch und dessen Gelüste hegen, unter der Kreuzesflucht gefangen bleiben, denen ist nichts rein, sie mögen solches mit noch so viel Geschwätz und Vorwänden bedecken: mit ihren Menschengeboten, mit Beobachtung aller jüdischen Reinigungen wird nichts gereinigt. Denn das Alles reicht nicht an das Herz, und an das, was aus demselben zunächst heraus kommt. Die bleibende Herzens = Unreinigkeit aber verunreinigt Alles, den Sinn, das Nachdenken, die Überlegungs = und Beurteilungs = Kraft, ja auch das Gewissen, das vor und nach der Tat, mit Erinnern, Antreiben, Abhalten, mit Unruhe, oder Trost und Befriedigung sein Geschäft hat. Im Gewissen ist sonst Gotteslicht und Wahrheit noch mehr als im Verstand und allen anderen Kräften der Seele geschäftig, doch kann es auch durch ungesunde Lehre, lange Gewohnheit, falsche Bespiele, Absicht auf Genuß von der Ungerechtigkeit, so verunreinigt werden, daß es in seinem Amt und guten Dienst verhindert wird, und durch falsche Vorstellungen einem Menschen auch ganz verkehrte Triebe beibringen kann. - Beim Sagen: sie erkennen GOtt, gibt es oft Anmaßungen von höheren Einsichten, Einbildungen auf eine falsch = berühmte Kunst, auf eine fälschlich so genannte Erkenntnis (1.Tim. 6, 20). Alle großen Anmaßungen aber, die sich nicht mit Treue und Brauchbarkeit im Geringen bewähren, die einem nicht im täglichen Wandel vor GOtt, zu kindlichem Gebet, Überwindung der Welt und des Fleisches zc. die besten Dienste tun, die lasse man sich ja nicht einnehmen. Denn daran wird es offenbar, die Werke zeigen es, daß hinter der vorgegebenen Erkenntnis keine Wahrheit ist, GOtt aber hat an nichts mehreren Greul als an den Falschen und Lügnern, mithin auch an fälschlich angemaßter Erkenntnis; sonderlich, wenn man keiner besseren Überzeugung mehr Raum gibt, alles Gehorchen ausschlägt, und sich in seine angemaßte Erkenntnis wie in eine Festung hineinsetzt; worüber man zu allem guten Werk untüchtig wird. Ja bei der Unreinigkeit des Gewissens kommt man nicht nur um seine Tüchtigkeit zum Tun, sondern sogar auch zum Prüfen. Auch die Tüchtigkeit eines Lehrers zu allen Zeiten, sein Amt als ein Amt des Geistes und nicht des Buchstabens zu führen, ist viel daraus zu ersehen, daß er einesteils nichts mit einem Verbot belegt, wo kein göttliches Verbot ist, und also die Gewissen nicht ohne Not verstrickt; und andernteils, daß er eben so wenig unter dem Vorwand christlicher Freiheit manche Handlungen der Menschen für Mitteldinge erklärt, da doch Alles mit einem durch den Glauben gereinigten Herzen geschehen soll, und ohne dasselbige Alles unrein ist. O GOtt, gib, daß ich Dich Alle Zeit in der Wahrheit erkennen, und mit Werken bekennen möge! Amen!
Copyright information for
Rieger