Titus 3
Text: Titus 3,1-7 Der Apostel zeigt dem Titus den evangelischen Handgriff, wie er den Gläubigen in Kreta die Gnade ihres Berufs vorhalten, und ihnen dabei in das Angedenken bringen soll, in was sie ehemals auch gesteckt, aus was sie errettet, und in welche eine Hoffnung sie gesetzt worden seien, damit sie desto gewisser den - ihren Oberen schuldigen Gehorsam, den Übrigen aber alle Lindigkeit beweisen, und sich durch keinerlei angetanes Unrecht zu irgend einer Ungebühr auftreiben lassen. Unser leichtsinniges und auf Behauptung seines Eigensinns so trotziges Herz braucht immer Ermahnens oder Erinnerns. Eine vorzügliche Zierde des Evangeliums hat es zu allen Zeiten ausgemacht, daß ungeachtet es eine Predigt vom Himmelreich ist, und also einen HErrn, JEsum, zum König einsetzt, es doch den Fürsten und Obrigkeiten so wenig etwas vorrückt, als wenig der HErr JEsus zu seinem Reich eines Fadens breit verlangt hat. Das Evangelium schmeichelte also freilich den Großen dieser Welt nicht so, als ob sie das unbewegliche Reich hätten, sondern das Evangelium setzt Alles in das Warten auf die Offenbarung des HErrn JEsus in seinem Reich; bis dahin aber läßt es dem Reich der Welt alle von GOtt ihm eingeräumten Zeiten, und macht die Mitgenossen des Evangeliums zu der Obrigkeit getreuesten Dienern, und geduldigsten Untertanen. Dabei geht es nicht nur aus Furcht vor der Strafe, sondern auch aus Wohl eines guten Gewissens, woraus besonders die Bereitschaft zu allem guten Werk oder die Brauchbarkeit zu mancherlei angenehmen Diensten entsteht. Bei jedem bürgerlichen Gang und Verfassung in der Welt gibt es freilich auch Solche, die von der ihnen darin eingeräumten Gewalt einen Mißbrauch zu Anderer Bedrückung machen; da ist denn das gemeinste, womit man sich noch wehren will, das Maul; aber auch das zu bezähmen, soll man Erinnerung tun und annehmen. Denn geholfen ist damit nichts, weil sich es die Großen schon lange zur Gewohnheit gemacht haben: Laßt sie schwätzen, wenn sie uns nur müssen machen lassen. Inmittelst kommt doch durch eine zum Lästern entzündete Zunge viel Befleckung in den Wandel. Im Hadern soll man nicht der angreifende Teil, aber bei erlittenem Angriff gelinde sein, nirgends Böses mit Bösem, oder Scheltwort mit Scheltwort vergelten. Je mehr man von der Wahrheit GOttes eingenommen ist, je sanftmütiger kann man auch bei Verteidigung derselben verfahren. Die ruhige Gewißheit vom Sieg schneidet Alles ab, in was man sonst durch Bestürzung hineinkäme; und das Angedenken, wie nichts zu erzwingen sei, wie freundlich uns GOtt herumgeholt habe, durch welcher Schwierigkeiten Überwindung es bei uns gegangen sei, verhütet, daß man doch ja Keinem den Weg zur Umkehr in der Wahrheit mit irgend etwas erschweren möchte. Ohne Rückdenken an seine eigene Jugend, an seine sonstigen Schwachheiten und Versuchungen, aber auch an die von GOtt verschafften Ausgänge daraus, kann man nicht einmal ein Kind weislich ziehen; wie viel nötiger ist solches Rückdenken zu allem sonstigen Umgang. Aus diesem Grund empfiehlt dort der HErr JEsus dem Petrus, daß er die Wiederaufrichtung aus seinem Fall, und die darunter erlangte Witzigung auch seine Brüder solle genießen lassen. Alles was uns jetzt an Anderen übt, worüber wir zu hadern versucht werden, hat sich weiland auch an uns gefunden. - Als Unweise haben wir ehemalen mit unseren Urteilen oft nicht nur wider die Gottseligkeit, sondern auch wider die natürliche Billigkeit angestoßen; als Ungehorsame haßten wir die Zucht, und man mußte uns oft Zeit lassen, uns hintennach eines Besseren zu besinnen; bei aller angemaßten Rechthaberei waren wir doch Irrige, hatten unsere eigenen Neigungen, und wollten unserem Fleisch und seinen Freiheiten keinen Einhalt tun lassen; woraus wie in allem Weltlauf, viel Beißen und Fressen unter einander entstand. O GOttes Sohn! wie konnt es sein, Dein Himmelreich zu lassen, zu kommen in die Welt herein, da nichts, denn Neid und Hassen? Ach Deine große Liebe und unsere große Not hat das bei Deiner und Deines himmlischen Vaters Menschenliebe vermocht; und die erscheint noch, wo jetzt das Evangelium davon eine Finsternis durchbricht. - Der Vorwand, den man oft zu seiner Ungeduld und richterlichen Schärfe nimmt, ist der: ja, wir wollen doch nichts Anderes, als was recht ist. Ja, wie hat GOtt dich aus der Ungerechtigkeit errettet? Hat er auch auf dich hineingeschlagen, bis Werke der Gerechtigkeit herausgekommen sind? O nein, nach seiner Barmherzigkeit brachte Er uns zur Erkenntnis der Wahrheit, berief uns in die Gnade Christi, versetzte uns dadurch in einen seligen Stand; aus der Obrigkeit der Finsternis in das Reich der Liebe; aus Bosheit, Hassen, Neiden zc., in das Wandeln im Licht, in der Wahrheit, in der Sanftmut und Demut. Der Anfang dazu wurde gemacht in der Taufe, als im Bad der Wiedergeburt. Diese in der Taufe angefangene Gnade aber hatte ihren Fortgang in der Erneuerung des heiligen Geistes, und der aus dessen Trieb fortgehenden Heiligung. Bei der Taufe und bei der weiteren gehorsamen und gläubigen Annahme des Evangelii wird uns je mehr und mehr geschenkt der Heilige Geist; was Der bei uns vermocht hat, zu was die Vergebungsgnade bei uns fruchtbar geworden ist, und welche Hoffnung wir nun durch die Kraft des Heiligen Geistes behaupten können, das macht das Rückdenken an das, was wir zuvor waren, erträglich, und legt alles Neiden, Hadern über das, was auf Erden ist, danieder, weil man sich dazu berufen findet, daß wir den Segen beerben. Text: Titus 3,8-11 Der Apostel spricht Tito zu über den obigen Grundstücken fest zu halten, und im Vortrag immer nur auf das Nötigste und Nützlichste zu sehen; das aber, was weniger zur Erbauung taugt, von sich zu weisen, und sich nicht in langwierige, vergebliche Streitigkeiten verwickeln zu lassen. Die Worte: das ist gewißlich wahr, kann man teils als ein Siegel über das Vorige ansehen, teils aber auch als den Grund, warum Titus das so ernstlich soll. In der öffentlichen Lehre muß man um der Menschen Bedürfnis willen auf gewisse Hauptsachen befestigt werden, und selbige beständig treiben sich nicht verdrießen lassen. Auch muß ein Jeglicher nach seinem eigenen inneren Grund, und nach Stärke seines inwendigen Menschen eine Macht bekommen, das zu zeigen, was für seine Zeit und Umstände das Nötigste ist, das Andere, wie bei der Bergpredigt, spüren müssen: er lehrt gewaltig, oder bevollmächtigt dazu. Wer in den Wirbel hineinkommt, daß er sich in der Wahl der Materien, in der Art des Vortrags, in Führung der Beweise nach dem richtet, was in der Welt Mode ist, was zu seiner Zeit für weise, gemäßigt, gemeinnützig gehalten wird, der kann darüber ein dummes Salz werden. In den Reden Christi und seiner Apostel, in ihren Vorschriften muß man sich ersehen, was das Nötigste und Nützlichste ist, und mit welchen Spießen und Nägeln sie es in der Menschen Gewissen wohl angeheftet haben; es kann Etwas sehr feurig, lebhaft, affektvoll vorgetragen scheinen, und es hat doch das Beste aus dem Ebenmaß des göttlichen Wortes nicht. So sorgfältig der Apostel, die Werke der Gerechtigkeit unsererseits weggeräumt hat; als ob wir den Anfang damit gemacht und den Grund zu unserer Seligkeit gelegt hätten (V. 5); so lauterlich er Alles der Gnade GOttes zugeschrieben, daß wir durch dieselbe gerecht und Erben des ewigen Lebens seien (V. 7); so fest will er nun auch betrieben haben, daß ein Glaube, der in dieser Gnade zu stehen gekommen ist, einen Menschen nicht faul und unfruchtbar sein lasse, sondern ihn so geschäftig und tätig mache, daß man nicht nur ein oder anderes gutes Werk tun, sondern im Stand guter Werke erfunden werde, daß man ihn brauchen kann, wozu man ihn bedarf (V. 14). O wie viel Bedürfnisse gibt es immer am Leib Christi, in einer Gemeinde, in einer Familie, bei Gesunden und Kranken, bei Kindern und Waisen, wo man Leute, die im Stand guter Werke stehen, brauchen könnte. Es ist nicht immer nur auf das Geben angesehen, wie man bei guten Werken sonst auf das hineinfällt, sondern es gibt außerdem mit Trost, Rat, Tat manche Hilfeleistung im menschlichen Leben, manche Stärkung lässiger Hände zu tun. - Zum Licht der Welt, zum Salz der Erden haben wir uns in unserem Stand brauchen zu lassen, auch nähren wir uns jetzt von dem, was andere ehemalen zum gemeinen Besten zusammengetragen haben; darum liegt uns an, bei unserer Amtsführung, bei dem, was durch unser Wort und Beispiel für Leute gezogen werden, auch darauf zu sehen, was gut und dem Menschen nützlich ist, daß wir nicht dem Strom der Ärgernisse, den vergeblichen Gewohnheiten unserer Zeit nachgeben, sondern über dem halten, was den Menschen gut und nützlich ist. Diesem festen Bleiben über dem was gut und nützlich ist zuwider, hat der Vater der Lügen zu allen Zeiten viel Anderes aufzuwerfen. - Was der Apostel hier und anderwärts von Geschlechtsregistern, vom Streiten über dem Gesetz sagt, das hat man nicht dahin zu deuten, als ob er wehren wollte, daß man sich mit den Schriften Alten Testaments nicht mehr aufhalten sollte, denn wie viel hat Paulus selbst aus den Geschichten Alten Testaments hergeleitet, wie hat er dem Timotheus die Heilige Schrift, die er von Jugend auf wußte, so hoch eingebunden und ihre Brauchbarkeit angepriesen. Und was ist denn an den biblischen Geschlechtsregistern törichtes? Aber das gab törichte Fragen und Geschlechtsregister, an denen kein Ende zu finden war, wenn man die Schöpfung, den Ursprung aller Dinge, ihre Abstammung von einander, ihre Erhaltung erklären wollte, und dabei zwar Einen höchsten GOtt annahm, der aber zunächst aus sich selbst gewisse Kräfte gezeugt und geboren hätte, und diese wären hernach die Urheber der sichtbaren Welt geworden, von einem derselben komme auch das Gesetz her, woraus dann wunderliche Gedanken von der Fortpflanzung der Menschen, vom Ursprung der Leiber, vom Ehestand, vom Gebrauch der Speise und Trank, von der Verehrung der Engel usw. entstanden. Wo man nun das Alles mit der Lehre Christi vermengen, und so ineinander weben wollte, da stand der Apostel scharf dagegen, weil zu besorgen war, man werfe über eine Weile Eins mit dem Anderen weg. Es ist sehr darüber zu wachen, daß sich nichts in der Hochachtung des menschlichen Gewissens festsetze, was nicht aus der Wahrheit ist; denn man kann es hernach nimmer auseinander lesen. Alle Mühe gibt sich der Mensch eher, als daß er bei dem Einen, das not ist, fest aushielte. Das hat schon Salomo unter den übrigen Eitelkeiten beseufzt (Pred. 12, 12-14). Denn bei der Fragsucht und bei allen Verstandeswahrheiten kann er sich mit einem aufblähenden Wissen kitzeln; Gewissenswahrheiten aber demütigen den Menschen. Hören kann man freilich einen Jeden, was er vorzubringen hat, sodann auch suchen, ihm durch Ermahnen, Zurechtweisen, Überzeugen beizukommen; läßt er sich aber nicht gewinnen, so ist des Apostels Meinung: halte dich nicht immer mit ihm auf, befiehl ihn GOttes Erbarmen, warte dorther Schickungen ab, ob ihm GOtt Buße zum Leben gebe. Eigensinnige Köpfe werden oft eher durch ein bedächtliches Meiden zur Buße und Sinnesänderung geleitet, als durch ein beständiges Anhalten bei ihnen. Der Satan möchte einem oft auch am Zaun des Gartens so viel zu schaffen machen, daß man darüber das Pflanzen versäumte. Da muß man auch wissen was er im Sinn hat, und eine so unfruchtbare Arbeit stehen lassen. Was aus dem Gelenk der Demut verrenkt ist, das ist eine gliedliche Handreichung anzunehmen nicht fähig, und das heißt verkehrt. Ungehorsam, Haß der Zucht, Ungeneigtheit, sich überzeugen zu lassen, sind Wurzelsünden, also sündigt man damit nicht nur, sondern veranlaßt auch viele andere Sünden. Wer sich oft unter Anderer Urteil am wenigsten beugen will, der trägt das Urteil und Zeugnis seines Gewissens wider sich, daß er sich selbst, und seine Ehre suche, Gehorsam versage u. dgl. Dieser unter seinem Selbsturteil noch geschäftigen Wahrheit kann man ihn überlassen. Sieh, ob ich auf bösem betrüglichem Stege, und leite mich, Höchster, auf ewigem Wege - auch bei meiner Arbeit an Anderen, nicht auf Holzwege! Text: Titus 3,12-15 Der Apostel macht etliche nötige Bestellungen, und beschließt den Brief mit wechselseitigen Grüßen, und seinem herzlichen Segenswunsch. Artemas oder Tychikus waren für solche zu achten, denen Titus das Werk des HErrn in Kreta sicher anvertrauen konnte. Bälder aber sollte er von seinem Posten nicht weichen, bis er durch dergleichen tüchtige Gehilfen abgelöst würde. Dergleichen Tröstungen, wie ihm Titi Besuch sein konnte (2.Kor. 7, 6), hat sich Paulus immer bedürftig geachtet, und daneben gerechnet, daß Titus auch seinerseits nicht leer dabei ausgehen werde. In der alten Beischrift: geschrieben von Nicopolis hat dieser zwölfte Vers Anlaß gegeben. Der Brief könnte aber deswegen doch anderswoher geschrieben sein, und Paulus nur zu Nicopolis zu wintern vorgehabt haben. - Von Seiten der Schriftgelehrten her hatte ehemals unser lieber Heiland viel Widersprechen zu erdulden. Doch ergriff der himmlische Beruf, in der nachmaligen Predigt des Evangeliums, immer auch einige als eine Auswahl; und diese konnten dann auch mit ihren Wissenschaften für da Reich Christi brauchbar werden. Titus, ein Vorsteher der Gemeinde, durfte sich nicht beschweren, auch äußerliche Dinge, wie die Abfertigung solcher Gehilfen der Wahrheit nach all ihrer Bedürfnis war, zu besorgen. Es ist ein Unterschied zwischen der Vielgeschäftigkeit mit Eingriff in fremde Händel, und zwischen der Besorgung äußerlicher Angelegenheiten, worunter aber bloß Liebe geübt, und für die Wahrheit GOttes und deren Ausbreitung gesorgt wird. Der Vielgeschäftigkeit der ersteren Art soll sich ein Christ enthalten; aber zum Anderen soll er sich unverdrossen finden lassen. - Paulus war durch die Gnade Christi abgerichtet, niedrig zu sein und Mangel zu leiden: aber Anderen wollte er um deswillen nichts abgehen lassen. Eben an solchem Fleiß sollen die in Kreta neugewonnenen Christen lernen, zu was für künftigen Diensten und Brauchbarkeit Jeder soll nachgezogen werden, und wie der, den GOtt einmal zu einem Gefäß der Barmherzigkeit gemacht hat, auch zu einem Werkzeug der Gnade soll nachgezogen werden. An einem Leibe sind viele Glieder; jedes Glied aber hat seine eigene Verrichtung und Brauchbarkeit. Große und in das Gesicht fallende Gaben machen das Brauchbare nicht allein aus. Ein Geduldiger, einer der schweigen, der Etwas tragen kann, der seines Mutes Herr ist, ist oft besser als ein Starker. Beim Unfruchtbarsein aber geht es in das Verdorren, und von diesem zum Weggeworfenwerden und Brennen (Joh. 15, 2 + 5-6). Sonst macht der Apostel diejenigen namhaft, von denen er Grüße ausrichtet; weil aber Titus vermutlich noch nicht lange von Paulo getrennt war, so konnte er selbst wissen, wer bei ihm sei, - vermutlich die Apg. 20, 4 namhaft Gemachten. So machte er auch die, an die er dem Titus Grüße aufgibt, nicht namhaft, wie sonst geschieht. Auch solche Abwechslungen lehren uns, daß wir nicht in Allem zu viel Einförmigkeit betreiben, vielweniger uns beschweren sollen, wenn man mit uns nicht immer so pünktlich umgeht, wie wir es etwa zu anderer Zeit beobachtet haben. Es ist übrigens eine nachdrückliche Beschreibung: Alle, die uns lieben im Glauben. Mit der Liebe kann man sonst manche Tändelei zu treiben versucht werden, und einander manches Läppische, Unfruchtbare, von der Salz = und Licht = Kraft des Christentums Abweichende unter diesem Namen zumuten. Aber die Schrift verwahrt es genugsam. Hier heißt sie es: Liebe im Glauben; ein anderesmal: Liebe in der Wahrheit, 2.Joh. V. 1, wiederum: Liebe von reinem Herzen und gutem Gewissen zc., 1.Tim. 1, 5 und 1.Petr. 1, 22 wird angedeutet, daß nur bei einer im Gehorsam der Wahrheit keusch gemachten Seele sich ungefärbte Bruderliebe finde. - Mit Anwünschung der Gnade schließt der Apostel auch diesen Brief. Denn von der Gnade ist erst fruchtbare Anwendung des Geschriebenen, aber auch Erstattung dessen zu gewarten, was nicht so in Worte gefaßt werden konnte. HErr! es sind Gnadenwerke, der Liebe Brunst, des Glaubens Stärke, der Hoffnung Trost! Die schenke Du! Amen.
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